Von: mk
Innsbruck – Forschende der Universitäten Innsbruck und Konstanz deckten auf, wie Honigbienen ihre kollektive Verteidigung als Reaktion auf Fressfeinde organisieren, und nutzten ein in Innsbruck entwickeltes Computermodell, um mögliche evolutionäre Triebkräfte zu identifizieren.
Fühlt sich ein Honigbienenvolk bedroht, sei es von einem Raubtier oder von einem Menschen, der dem Bienenstock zu nahe kommt, starten die Bienen einen koordinierten Gegenangriff. Ein wichtiges Signal für Bienen, ist dabei das Vorhandensein eines Alarmpheromons, das sie an ihrem Stachel tragen. Beim Angriff wird dieses Pheromon verbreitet. Es informiert nicht nur über die Anwesenheit eines Angreifers, sondern auch über das Ausmaß des durch die Bienen eingeleiteten Gegenangriffs. „Je mehr Bienen den Eindringling gestochen haben, desto mehr Alarmpheromon wurde mit jedem Stich freigesetzt und desto höher ist dessen lokale Konzentration“, erklärt Morgane Nouvian, Biologin aus Konstanz. Gemeinsam mit Andrea López-Incera vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck ist sie Erstautorin einer interdisziplinären Studie zum kollektiven Verhalten von Bienen.
Um zu verstehen, wie einzelne Bienen die Konzentration des Alarmpheromons nutzen, beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Konstanz das individuelle Stechverhalten von Westlichen Honigbienen. Dabei wiesen sie zum ersten Mal unter kontrollierten experimentellen Bedingungen eine abnehmende Aggressivität bei hohen Pheromonkonzentrationen nach. „Eine mögliche Funktion dieses Stoppeffekts hoher Konzentrationen des Alarmpheromons könnte darin bestehen, das ‚Überstechen‘ bereits besiegter Eindringlinge und damit unnötige Opfer unter den Arbeiterinnen zu vermeiden”, schlägt Morgane Nouvian vor.
Künstliche Intelligenz enthüllt evolutionäre Prozesse
Bei sozialen Insekten, egal ob Honigbienen oder andere soziale Arten wie zum Beispiel Wanderameisen, kommt es häufig vor, dass Individuen ihr Handeln auf das Wohl und Überleben der Kolonie ausrichten. Aus diesem Grund wirken evolutionäre Selektionsprozesse bei diesen Insekten auch auf Gruppenebene anstatt auf Ebene des Individuums. „Normalerweise, wenn ein Organismus stirbt, kann er seine Gene nicht mehr an die nächste Generation weitergeben. In einem Bienenvolk ist jedoch die Königin für die Fortpflanzung zuständig. Wenn eine andere Biene bei der Verteidigung des Bienenstocks stirbt, die Königin dadurch aber gerettet wird, pflanzt sich das Bienenvolk weiterhin fort“, verdeutlicht Nouvian. Da das Bienenvolk als ein einziger „Superorganismus“ wirkt, kann das Verhalten der zugehörigen Individuen nur durch das kollektive Ergebnis, zu dem es beiträgt, verstanden werden.
Um die Evolution kollektiver Verhaltensweisen anhand der experimentellen Daten besser zu verstehen, verwendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen auf sogenannter Projektiver Simulation basierenden Modellansatz, der ursprünglich vom Quantenphysiker Hans Briegel und seinen Kollegen an der Universität Innsbruck entwickelt wurde. In dem agentenbasierten Modell verfügt jeder Agent beziehungsweise jede „Biene“ über einen sehr begrenzten Fundus an für das Abwehrverhalten relevanten Wahrnehmungen (die Konzentration des Alarmpheromons und ein Signal, dass der Räuber flieht) und Handlungen (zu stechen oder nicht zu stechen). „Auf der Grundlage des von uns entwickelten Ansatzes haben wir ein Modell entworfen, das realistisch, aber nicht zu komplex ist“, sagt Andrea López-Incera aus dem Team von Hans Briegel. „In unserer Computersimulation wurde jeder Agent nacheinander aufgerufen, den aktuellen Pegel des Alarmpheromons wahrzunehmen. Wenn eine ‘Biene’ daraufhin zusticht, erhöht sich die Konzentration des Pheromons und die Entscheidung der nächsten ‘Biene’ basiert dann auf einer neuen Pheromon-Konzentration.“
Ein zweiter wichtiger Aspekt des Modells ist, dass die Agenten lernfähig sind: Weder die Reaktionen der einzelnen Bienen noch die Regeln der Interaktion zwischen ihnen sind vorgegeben. Stattdessen entwickeln sie sich „evolutionär“ über viele Zyklen der Simulation oder, anders ausgedrückt, über viele Generationen des Kollektivs. „Sind unter bestimmten Umweltbedingungen die Entscheidungen der einzelnen Agenten von Vorteil für das Kollektiv, werden sie positiv verstärkt. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Generation unter identischen Bedingungen ähnlich handelt“, verdeutlicht Andrea López-Incera. Insgesamt ermöglichte der agentenbasierte Ansatz durch dieses „bestärkende Lernen“ auf Gruppenebene die Modellierung des beobachteten Verteidigungsverhaltens der Honigbienen sowohl aus der Perspektive der einzelnen Bienen als auch des Kollektivs.
Das Modell auf dem Prüfstand
So konnten die Wissenschaftler mehrere Vorhersagen über den möglichen Einfluss verschiedener Umwelteinflüsse auf das Verteidigungsverhalten der Bienen machen. Zum Beispiel legen die Simulationen nahe, dass sich die Bienenvölker an den stärksten Räuber anpassen, dem sie begegnen. Das bedeutet, dass Bienenvölker, die vor allem auf schwache Räuber, wie Mäuse oder Kröten, treffen, bei hohen Pheromonkonzentrationen seltener stechen als Bienenvölker, die häufiger auf starke und schwer abzuschreckende Räuber, wie Bären, treffen.
Die Forscherinnen und Forscher wandten ihr Modell auch auf die wegen ihrer Aggressivität berüchtigten „Afrikanische Biene“ an. Es wird vermutet, dass diese Unterart der Westlichen Honigbiene ihr hochaggressives Verhalten als Reaktion auf höhere Prädationsraten und hochspezialisierte, schwer abzuschreckende Raubtiere wie den Honigdachs entwickelt hat. Tatsächlich ergab die Simulation, dass Bienenpopulationen, die unter einer hohen Prädationsrate sowie robusten Räubern leiden, stärkere Verteidigungsreaktionen entwickeln als Populationen, bei denen dies nicht der Fall ist. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher empirische Daten von echten Bienen in Afrika sammeln, um die Ergebnisse zu verifizieren. Ein weiteres Projekt für die Zukunft ist die Modellierung einer vielschichtigen Bienenpopulation. Generell ist der vorgestellte Modellierungsansatz sehr vielseitig und kann auf andere Verhaltensweisen oder auch Tierarten angewendet werden. Er stellt somit ein wertvolles neues Werkzeug für die Untersuchung der Evolution von Kollektivverhalten dar.