Von: luk
Innsbruck – Vor drei Jahren haben Chemiker der Universität Innsbruck Hinweise für die Existenz einer neuen Variante von Eis gefunden. Bisher waren 18 Arten von kristallinem Eis bekannt. Das Team um Thomas Lörting liefert nun in der Fachzeitschrift Nature Communications die Aufklärung der Kristallstruktur von Eis XIX mittels Neutronenbeugung.
Eis ist ein sehr vielfältiges Material. In Schneeflocken oder Eiswürfeln sind die Sauerstoffatome hexagonal angeordnet, die Wasserstoffatome zufällig verteilt. Diese Eisform wird als Eis Eins (Eis I) bezeichnet. „Streng gesehen sind das aber eigentlich überhaupt keine Kristalle, sondern ungeordnete Systeme, in denen die Wassermoleküle zufällig in verschiedene Raumrichtungen orientiert sind.“, erklärt Thomas Lörting vom Institut für Physikalische Chemie der Universität Innsbruck. Einschließlich Eis I waren bisher 18 kristalline Formen von Eis bekannt, die sich in der Anordnung ihrer Atome unterscheiden. Die verschiedenen Arten von Eis bilden sich abhängig von Druck und Temperatur aus und haben sehr unterschiedliche Eigenschaften. So unterscheiden sich die Schmelzpunkte um mehrere hundert Grad Celsius. „Vergleichbar ist das mit Diamanten und Grafit, die beide aus reinem Kohlenstoff bestehen.“, erklärt der Chemiker.
Eisige Vielfalt
Wird herkömmliches Eis I stark abgekühlt, können sich bei korrekter Experimentführung neben dem Sauerstoff auch die Wasserstoffatome periodisch anordnen. Unterhalb von minus 200 Grad Celsius kann es so zur Bildung von sogenanntem Eis XI kommen, in dem alle Wassermoleküle nach einem bestimmten Muster geordnet sind. Solche geordneten Eisformen unterscheiden sich insbesondere in den elektrischen Eigenschaften von den ungeordneten Mutterformen. In der aktuellen Arbeit behandeln die Innsbrucker Chemiker die Mutterform Eis VI, die bei höherem Druck entsteht, zum Beispiel im Erdmantel. Diese Hochdruckform von Eis ist gleich wie hexagonales Eis kein vollständig geordneter Kristall. Vor zwölf Jahren haben Forscher an der Universität Innsbruck eine wasserstoffgeordnete Variante dieses Eises erzeugt, das als Eis XV Eingang in die Lehrbücher fand. Mit einer Änderung des Herstellungsprozesses ist es dem Team um Thomas Lörting vor drei Jahren erstmals gelungen, eine zweite geordnete Form für Eis VI zu erzeugen. Die Wissenschaftler haben dazu den Abkühlprozess deutlich verlangsamt und den Druck auf rund 20 kbar erhöht. So war es ihnen möglich, die Wasserstoffatome in einer zweiten Art und Weise im Sauerstoffgitter anzuordnen und Eis XIX herzustellen. „Wir fanden damals klare Hinweise darauf, dass es sich um eine neue geordnete Variante handelt, konnten aber die Kristallstruktur noch nicht aufklären.“ Genau dies ist seinem Team nun mit Hilfe des Goldstandards zur Strukturaufklärung gelungen – Neutronenbeugung.
Strukturlösung gelungen
Für die Aufklärung der Kristallstruktur war eine wesentliche technische Hürde zu überwinden. Bei einer Untersuchung mittels Neutronenbeugung ist es notwendig, den sehr leichten Wasserstoff im Wasser durch Deuterium („schweren Wasserstoff“) zu ersetzen. „Leider verändert sich dadurch auch das Verhalten im Herstellungsprozess des Eises“, sagt Lörting. „Doktorand Tobias Gasser hatte dann aber die entscheidende Idee, indem er dem schweren Wasser einige Prozent normales Wasser hinzugefügt hatte.“ Mit dem so gewonnenen Eis konnten die Innsbrucker Wissenschaftler schließlich am Rutherford Appleton Laboratory in England Neutronendaten am hochauflösenden HRPD-Instrument messen und in mühevoller Kleinarbeit die Kristallstruktur von Eis XIX lösen. Dabei war es notwendig, aus den gemessenen Daten die beste Kristallstruktur aus mehreren Tausend Kandidaten zu finden – ähnlich der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Eine japanische Forschungsgruppe bestätigt in einem weiteren Experiment unter anderen Druckbedingungen das Innsbrucker Ergebnis. Beide Arbeiten wurden nun gemeinsam in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Sechs Eisformen in Innsbruck entdeckt
Während herkömmliches Eis und Schnee auf der Erde vielfach vorhanden ist, findet man auf der Oberfläche unseres Planeten – außer in Forschungslaboren – keine anderen Eisformen. Die Hochdruckformen Eis VI und Eis VII sind jedoch als Einschlüsse in Diamanten zu finden und wurden daher von der Internationalen Mineralogischen Vereinigung (IMA) in die Liste der Mineralien aufgenommen. Viele Varianten von Wassereis entstehen in den Weiten des Weltalls unter besonderen Druck- und Temperaturverhältnissen. Sie finden sie sich zum Beispiel auf Himmelskörpern wie dem Jupitermond Ganymed, der von Schichten unterschiedlicher Eisvarianten eingehüllt ist.
Eis XV und Eis XIX stellt das erste Geschwisterpaar in der Eisphysik dar, bei dem das Sauerstoffgitter gleich ist, aber eine unterschiedliche Ordnung der Wasserstoffatome realisiert ist. „Dies bedeutet auch, dass es nun erstmals möglich ist, den Übergang zwischen zwei vollständig geordneten Eisformen im Experiment zu realisieren“, freut sich Thomas Lörting. Seit den 1980er-Jahren zeichnen Forscher an der Universität Innsbruck nun für die Entdeckung von vier kristallinen sowie zwei amorphen Eisformen verantwortlich.
Die aktuelle Forschungsarbeit entstand im Rahmen der Forschungsplattform für Material- und Nanowissenschaften der Universität Innsbruck und wurden vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF finanziell unterstützt.