Von: mk
Alle Bewohner und Mitarbeiter in Altenheimen testen – das ist der ganz große, zentrale Schwerpunkt der künftigen Teststrategie in Österreich. Die Worte stammen aus dem Mund des österreichischen Gesundheitsministers Rudolf Anschober nach Anhörung zahlreicher Experten. Tony Tschenett, Vorsitzender des Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbundes (ASGB), fordert, die Strategie in Südtirol an Österreich anzupassen.
Es sei nicht mehr tolerierbar, mit ansehen zu müssen, wie das Krisenmanagement in vielen Altersheimen völlig versagt, so der ASGB-Chef in einer Stellungnahme. Man könne verstehen, dass am Anfang der Covid-19-Krise viele Strukturen von der außergewöhnlichen Situation überrascht wurden, man hätte aber rechtzeitig gegensteuern können. Was aktuell geschehe, sei vielfach komplettes Versagen vieler Führungskräfte in den Altenheimen in verwaltungstechnischer Hinsicht, aber auch in menschlicher Hinsicht.
„Mir reicht’s jetzt! Ich habe viele Gespräche mit Pflegern geführt. Die meisten kritisieren den fahrlässigen Umgang der Heimführungen mit Covid-19. Auch heute gilt in einigen Strukturen immer noch die Devise, beim Personal und der Ausstattung desselben zu sparen. Wohin das führt, sieht man. Ein Massensterben der Heimbewohner, ein sich vielfach in Quarantäne befindendes Pflegepersonal und dadurch ein personeller Notstand vielerorts. Dass durch den Mangel an Schutzausrüstung und nicht erfolgter Tests fahrlässig die Ausbreitung des Virus durch das Pflegepersonal in Kauf genommen wurde, ist nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die anfängliche Weigerung, flächendeckende Tests in den Strukturen durchzuführen, hat uns in diese Situation gebracht. Auch wenn ich mich wiederhole: Diese Situation ist erst durch menschliches Versagen derart entartet“, schreibt Tschenett.
Man könne nur noch Kosmetik betreiben, und das heißt laut ASGB: Sofort Tests an allen Mitarbeitern und Heimbewohnern durchführen!
Tschenett zeigt sich aber auch beunruhigt über mangelnde Empathie: „Man hat das Gefühl, dass erkrankte Bewohner teilweise nicht mehr als gleichwertige Menschen anerkannt werden. Für die Preise, die in den Altenheimen bezahlt werden, möchte man eigentlich meinen, dass anständige Schutzvorkehrungen und auch Behandlungen angeboten werden. Dabei ist in den letzten Jahren massiv beim Personal gespart worden. Die Zeit der Pfleger beim Patienten wurde begrenzt, während die Zeit der Führungskräfte bei den Akten keine Begrenzung erfahren hat. Der Ruf der Pflegestrukturen wird für lange Zeit unter diesem Missmanagement leiden.“
Jetzt gelte es die Ärmel hochzukrempeln und das Beste aus der Situation zu machen. Wenn sich die Situation aber beruhigt hat, dann müsse man sich Gedanken darübermachen, wie man die Verantwortlichen dieser Misere zur Verantwortung zieht.
„Diese traurigen Umstände müssen auch endlich Anlass dafür sein, dass unsere Forderungen nach einer anständigen Aufwertung der Pflegeberufe umgesetzt werden. Dabei sollen die Maßnahmen für die Aufwertung nicht auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden, sondern umgehend angegangen werden“, schließt Tschenett.
Menschenrechte am Lebensende
Nach dem ASGB nehmen auch Oppositionsparteien zu der Situation in den Seniorenheimen Stellung. „Vielfach erreichen uns in diesen Tagen und Wochen des Covid-19-Notstands Berichte und erschütternde Erzählungen von Menschen, die gerade jetzt in den Seniorenwohnheimen sterben“, erklären die Grünen.
Die betroffenen Senioren machen in Relation zur Gesamtzahl der Coronatoten einen großen Anteil aus. Aber es gehe nicht nur um die Statistik. „Man erzählt uns von Situationen der Verlassenheit und des einsamen Lebensendes. Man erzählt uns von Verwandten, die nicht verständigt wurden oder gar erst im Nachhinein von einer plötzlichen Verschlechterung des Zustandes erfahren haben. Man erzählt uns von Medikamentengaben, zu denen kein Einverständnis besteht.“
Ebenso sei den Grünen von einer heillosen Überlastung des Pflegepersonals und von untragbaren Arbeitsbedingungen berichtet worden. „Wir können uns vorstellen, wie kompliziert sich die Situation gestaltet, wenn viele Betroffene in derselben Struktur betreut werden müssen und das erst schon karg bemessene Personal ebenfalls dezimiert ist“, so die Grünen.
Sie glauben daher, dass es notwendig ist, die Einrichtungen und das Personal mit allen Mitteln zu unterstützen, damit sie ihrer Aufgabe auch in diesen Zeiten nachkommen können.
„Auf das Thema der Einrichtungen, in denen die persönliche Freiheit aus verschiedenen Gründen eingeschränkt ist, weisen wir seit Jahren hin und haben dazu einen Gesetzentwurf eingebracht. Der LGE 20/19-XVI sieht vor, dass die Volksanwältin oder eine unabhängige Kommission die Einrichtungen unangemeldet besucht und Empfehlungen ausspricht“, erklären die Grünen.
In Österreich heißt dieses Mandat „präventive Menschenrechtskontrolle“. Es habe sich dort als wirksames Instrument erwiesen, die Situation in vielen Einrichtungen zu verbessern. Unter anderem hab es dazu beigetragen, das Thema zu enttabuisieren, in den öffentlichen Diskurs zu bringen und einen Dialog über die Rechte von Menschen mit besonderen Bedürfnissen und an ihrem Lebensende zu eröffnen.
„Das ist gerade in der derzeitigen Situation notwendiger denn je. Da zeitgleich im Landtag ein Gesetzentwurf zu den Ombudsstellen in Ausarbeitung ist, werden wir uns auch in dem Zusammenhang dafür einsetzen, dass die präventive Menschenrechtskontrolle in der Volksanwaltschaft verankert wird. Weil die Menschenrechte bis zum Lebensende reichen müssen“, betonen die Grünen.
STF: „Altenheime nicht zu Corona-Sterbeheimen machen“
Die Süd-Tiroler Freiheit schließt sich vollinhaltlich der Kritik des ASGB an den unhaltbaren Zuständen in den Südtiroler Altenheimen an. In vielen Südtiroler Altenheimen sei die Situation völlig außer Kontrolle geraten.
„Verzweifelte Pfleger berichten, dass ihnen die Senioren unter den Fingern wegsterben. Wegen fehlender Schutzausrüstung stecken sich auch immer mehr Pfleger selbst an und tragen das Virus zu den eigenen Familienangehörigen heim. Die Folgen sind fatal! Es gibt bereits Tote unter den Familienangehörigen von Pflegekräften“, so die Süd-Tiroler Freiheit.
Die Bewegung schlägt deshalb vor, Österreich offiziell um organisatorische Hilfe zu bitten. „Es geht darum, dass Südtirol in die Versorgung der Bundesländer mit Schutzausrüstung und Tests aufgenommen wird. Südtirol sollte Österreich die Kosten dafür voll erstatten“, so die Süd-Tiroler Freiheit
Team K: „Keine Schuldzuweisungen an die falschen Stellen“
Obwohl nach der medialen Berichterstattung von vielen Seiten nun mit dem Finger auf die Altersheime gezeigt und nach Schuldigen für die hohen Infektionszahlen gesucht wird, stellt sich das Team K auf die Seite der Altersheime: “Das Personal leistet Großartiges!”
Die Führungen hätten versagt, kein Krisenmanagement, fehlende Informationen an Personal und Angehörige, mangelnde Schutzmaßnahmen – dies sind nur einige Vorwürfe, die sich die Alters- und Pflegeheime in den vergangenen Tagen anhören müssten. “Viele Alters- und Pflegeheime zahlen jetzt den Preis für das Aushungern in den letzten Jahren. In der Krise wurden sie in vielen Belangen völlig alleingelassen”, beschreiben Paul Köllensperger und Maria Elisabeth Rieder vom Team K die Situation.
Am Anfang der Corona-Pandemie sei die Situation in den Alters- und Pflegeheimen unterschätzt und wie bei der Bevölkerung seien kaum Tests durchgeführt worden. Das Virus habe sich dadurch ungehindert ausgebreitet. “Gar einige Alters- und Pflegeheime verfügen nicht über die Räumlichkeiten, die Bewohnerinnen und Beweohner zu isolieren, und das war von Anfang an klar”, erklärt Rieder. Zu viel gespart sei in den letzten Jahren worden, genauso wie in der Sanität.
Die Personaldecke sei ausgedünnt worden, obwohl die Anforderungen besonders in den Seniorenheimen in den letzten Jahren gestiegen sind. Zudem seien alle Einrichtungen bis auf den letzten Platz belegt, es würden Betten für Notfälle fehlen. “Es gibt Alters- und Pflegeheime als öffentliche Betriebe wie auch von Stiftungen geführt. Sie sind in einem Verband zusammengeschlossen, doch wird ihre Stimme wenig gehört”, präzisiert Paul Köllensperger.
Der Sanitätsbetrieb habe den Alters- und Pflegeheimen erst spät Schutzkleidung zugeweisen, Testungen seien erst nach vielen Wochen vollständig durchgeführt worden. “Umso lobenswerter ist es, dass das Personal und die Führungsebenen in den Alters- und Pflegeheimen in den letzten Wochen vorbildlich und mit großem Einsatz daran gearbeitet hat, die Krise so gut es geht zu bewältigen”, so Rieder und Köllensperger.
Die Alters- und Pflegeheime gehören dem Ressort Soziales an, sind aber in einigen Bereichen auch Teil des Ressorts Gesundheit. “Der Trennung dieser Ressorts, sprich der Aufteilung auf zwei Landesräte, stand unser Team von Anfang an skeptisch gegenüber. In zu vielen Bereichen gibt es Verzahnungen, die durch eine Trennung erschwert werden”, meint Franz Ploner.
“Fakt ist, dass die Alters- und Pflegeheime alles versucht haben, um diese Zeit bestmöglichst zu meistern, vielerorts auch durch Unterstützung der Gemeinden und durch Umschichtungen von Personal (Gemeinde oder Sozialdienste), um die Engpässe zu überbrücken. Außerdem gibt es auch in den Alters- und Pflegeheime Bewohnerinnen und Bewohner, die von CoVid 19 wieder genesen sind, ein kleiner Lichtblick”, schließt Franz Ploner.