Mitentschieden wird vor allem in der Privatwirtschaft

Darum ist Gestaltungsspielraum am Arbeitsplatz wichtig

Mittwoch, 07. August 2024 | 11:30 Uhr

Von: mk

Bozen – Gestaltungsspielraum trägt zum psychischen Wohlbefinden der Arbeitnehmer bei und verringert teure Fehlzeiten. In allen Südtiroler Branchen haben Arbeitnehmer gleichermaßen Einfluss auf Arbeitsmethoden, -reihenfolge und -tempo, ein erfreuliches Ergebnis. Deutliche Unterschiede gibt es hingegen bei der Frage, ob sie auch über die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit mitentscheiden können. Da schneiden die öffentliche Verwaltung und das Gesundheits- und Sozialwesen nicht gut ab, obwohl diese beiden Branchen vergleichsweise viele regelmäßige Versammlungen abhalten, auf denen Mitarbeiter ihre Meinung zur Organisation sagen können.

Ob privat oder in der Arbeit: Wer Entscheidungs- und somit Gestaltungsspielräume hat, ist besser dran. Menschen leisten mehr und haben weniger psychische Beschwerden, wenn sie in ihrer Arbeit bis zu einem gewissen Maß selbst entscheiden und so handeln können, wie sie es am besten finden. Im Beruf Neues lernen zu können ist das Sahnehäubchen für die fachliche und persönliche Weiterentwicklung und das psychische Wohlbefinden.  „Weniger psychische Beschwerden bedeutet weniger Fehlzeiten – das ist gut für die Arbeitsproduktivität der Unternehmen, aber auch für die Krankenkassen; psychisch bedingte Fehlzeiten sind teuer“, betont AFI-Präsident Andreas Dorigoni.

Individuelle Arbeitsgestaltung in allen Branchen gleich gut entwickelt

Inwieweit haben Angestellte Einfluss auf die Art und Weise, wie sie eine Arbeitsaufgabe angehen? Können sie die Reihenfolge der entsprechenden Arbeitsschritte selbst wählen? Ist es ihnen möglich, die Arbeitsmethoden selbst zu wählen und können sie darüber bestimmen, wie schnell oder langsam sie die Arbeitsaufgabe bearbeiten?

Auf einer Skala von null (gar nicht gut) bis 100 (sehr gut) beträgt das Maß an Arbeitsgestaltungsmöglichkeiten für Südtiroler Arbeitnehmer gesamtwirtschaftlich 64, wobei die Unterschiede zwischen den Branchen nicht signifikant sind. „Die Arbeitnehmer sämtlicher Branchen können sich ihre Arbeit also grundsätzlich gleichermaßen frei einteilen – das ist ein gutes Ergebnis“, so der Studienautor und AFI-Arbeitspsychologe Tobias Hölbling.

Mitentscheiden vor allem in der Privatwirtschaft

Die „Kooperativen Entscheidungen“ nehmen hingegen die organisationalen Rahmenbedingungen in den Blick: Können Mitarbeiter auch dann mitreden, wenn es um die Arbeitsziele geht? Bietet das Unternehmen den Mitarbeitern Raum, um Vorschläge zu unterbreiten, welche die Arbeitsorganisation verbessern? Werden wichtige, die Arbeit betreffende Entscheidungen den Mitarbeitern einfach vorgesetzt oder können sie diese Entscheidungen beeinflussen?

Hier gibt es teils große Unterschiede. In privatwirtschaftlichen Branchen, in denen ein hohes Maß an spontaner, nicht von vorneherein planbarer Zusammenarbeit nötig ist, um die Arbeitsaufgaben zu erfül-len, kann die Belegschaft auch deutlich häufiger über die Rahmenbedingungen der Arbeit sprechen. Hier-bei stechen die Unternehmen des Baugewerbes (72 Punkte) und des Gastgewerbes (68) positiv hervor. In dieser Hinsicht deutlich unter dem Durchschnitt sind hingegen (meist) öffentlich geführte Dienste wie das Gesundheits- und Sozialwesen (61) und die öffentliche Verwaltung (59).

Hier geht es zum PDF! (Kooperative Entscheidungen)

Regelmäßige Versammlungen keine Gewähr für Mitentscheidung

Am öftesten gibt es regelmäßige Versammlungen, bei denen Mitarbeiter ihre Ansichten über das Unter-nehmen oder die Organisation äußern können, in den Bereichen Unterricht und Erziehung (in 84 Prozent der Fälle), Gesundheits- und Sozialwesen (71 Prozent) und der öffentlichen Verwaltung (68 Prozent). Diese drei Branchen haben formal gesehen eines gemeinsam: Die große Mehrzahl der in dieser Kategorie erfassten Betriebe und Organisationen sind Teil des öffentlichen Sektors. Überraschenderweise ist es aber um die Mitgestaltung der Rahmenbedingungen der Arbeit weder im Gesundheits- und Sozialwesen (61 Punkte) noch in der öffentlichen Verwaltung (59) gut bestellt: „Das bedeutet, dass regelmäßige formelle Versammlungen, bei denen Mitarbeiter ihre Meinung zum Unternehmen äußern können, per se keine Gewähr dafür bieten, dass Mitarbeiter auch was zu sagen haben, wenn es um Entscheidungsfindung, Arbeitsziele und Verbesserungsvorschläge geht. Private Wirtschaftsbereiche haben da die Nase vorn“, merkt Hölbling an.

Im Beruf Neues lernen? Im Bildungswesen die Regel, im Gastgewerbe eher selten

In Bezug auf die Frage, wie häufig man im Beruf Neues lernt, unterscheiden sich die Branchen sehr deutlich voneinander: Arbeitnehmer im Bildungswesen geben am öftesten an, am Arbeitsplatz häufig oder immer Neues zu lernen (83 Prozent), mit einem gehörigen Respektsabstand folgt die öffentliche Verwaltung (67 Prozent). An dritter Stelle folgt das Baugewerbe (64 Prozent). Deutlich mehr Arbeitsroutine findet sich im „Verarbeitenden Gewerbe“ und im Gastgewerbe: Dort geben weniger als die Hälfte (46 bzw. 40 Prozent der Arbeitnehmer) an, dass sie am Arbeitsplatz immer oder häufig etwas Neues lernen müssen. Fast jede dritte Person im Gastgewerbe (30 Prozent) sagt hingegen, dass ihre Arbeitstätigkeit selten oder nie mit sich bringt, et-was Neues zu lernen. Das erklärt sich daraus, dass vielfach Angelernte in diesem Metier arbeiten, die saisonal beschäftigt sind und dementsprechend selten formelle Fort- und Weiterbildungen besuchen. In der öffentlichen Verwaltung und in Erziehung und Unterricht ist das anders: Dort gibt es verpflichtende Fort- und Weiterbildungen für alle Mitarbeiter, was die Werte sicher nach oben treibt.

Hier geht es zum PDF! (Lernen neuer Dinge)

AFI-Arbeitspsychologe Tobias Hölbling resümiert wie folgt: „Wer Einfluss auf seine Arbeitstätigkeit hat, aber auch bei den Rahmenbedingungen der Arbeit ein Wörtchen mitreden kann, der fühlt sich grundsätzlich wohler und sein Unternehmen kann bares Geld sparen, weil der Mitarbeiter weniger oft fehlt“.

Bezirk: Bozen

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