Von: luk
Bozen – Südtirols Wirtschaft findet sich laut offiziellen Daten im Aufwind: Der Arbeitsmarkt entwickelt sich weiter positiv, der Tourismus boomt und auch das Baugewerbe floriert wieder. Doch da gibt es noch dieses „andere Südtirol“, die Kehrseite dieses Wirtschaftsaufschwungs: Es sind jene Menschen, die einkommensschwach oder aufgrund besonderer Umstände benachteiligt sind, aus den verschiedensten Gründen aus der Bahn geworfen wurden und gerade mit diesem wirtschaftlichen Druck nicht Schritt halten können. Sie haben sich im vergangenen Jahr vermehrt an die Caritas-Dienste gewandt, um Rat und Hilfe zu holen. „Dabei hat bei einigen Anlaufstellen nicht die Zahl der Hilfesuchenden zugenommen, sondern die Intensität der Beratungen und der Begleitungen“, sagt Caritas-Direktor Paolo Valente im Rückblick.
„Armut ist leider die Kehrseite einer auf Leistung und Konkurrenz fußenden Gesellschaft und soziale Ausgrenzung die Kehrseite von sozialem Aufstieg. Für manche Menschen mag der steigende Wohlstand zwar Reichtum bringen, die Kluft zu den sozial Benachteiligten wird dadurch aber noch größer. Das bringt sie in Bedrängnis, weil sie sich noch schwerer tun, mit dieser Gesellschaft mitzuhalten. Wir haben das in den meisten unserer Dienste beobachtet.“ Diese nüchterne Bilanz zieht Caritas-Direktor Paolo Valente im Rückblick auf das Jahr 2017. Armut und Reichtum seien zwei Seiten einer Medaille, die nur schwer miteinander zu vereinen sind, wenn diejenigen, die von der positiven Wirtschaftsentwicklung profitieren nicht auch auf jene schauen, die dabei das Nachsehen haben. Aus der Erfahrung der Caritas betrifft dies alle Altersschichten, sowohl die Jungen, die sich schwer tun, ins Leben zu finden, die Menschen in der Mitte des Lebens, die zum Teil trotz Arbeit kein Auskommen haben, als auch die Älteren, welche oft mehrere Problematiken aufweisen und auch deshalb durch das soziale Netz Südtirols fallen.
Besonders zu schaffen machen den bei der Caritas Hilfesuchenden beispielsweise die hohen Wohn- und Lebenshaltungskosten. „Viele unserer Klienten haben zwar eine Arbeit, beziehen aber einen zu geringen Lohn, um mit diesen hohen Preisen mithalten zu können“, sagt Stefan Plaikner, verantwortlich für die beiden Caritas-Dienste Schuldnerberatung und Sozialberatung, an welche sich vorwiegend Personen mit finanziellen Schwierigkeiten wenden. In beiden Diensten wurden 2017 insgesamt 1.751 Männer und Frauen vorstellig. Bei vielen ging es dabei vordergründig um Schwierigkeiten bei der Bezahlung von Miete und Mietnebenkosten sowie um die Existenzsicherung. „Wir helfen unseren Klienten dabei nicht nur, akute finanzielle Krisen zu überbrücken, sondern auch längerfristig mit den ihnen zur Verfügung stehenden Geldmitteln zurechtzukommen. Die Beratungen und Begleitungen sind oft komplex, erfordern viel Zeit, aber es lohnt sich allemal“, ist Stefan Plaikner überzeugt.
Die Schwierigkeit mancher Menschen, mit dem wirtschaftlichen Aufschwung mithalten zu können, zeichnet sich auch in den neun Einrichtungen für Wohn- und Obdachlose der Caritas ab. Sie verzeichneten alle einen ähnlich hohen, bei manchen sogar noch höheren Andrang als im Jahr zuvor (die Gästezahl lag hier 2017bei knapp 800 Frauen und Männern. „Dabei nehmen besonders die Personen mit Migrationshintergrund, Abhängigkeitserkrankungen und psychischen Problemen zu. Sie fallen sowohl auf dem Arbeits- als auch auf dem Wohnungsmarkt total durch den Rost und auch öffentliche Einrichtungen kümmern sich nicht oder nur unzureichend um sie“, sagt Danilo Tucconi, verantwortlich für den Bereich „Wohnen“ bei der Caritas.
Ein relativ neues Phänomen ist, dass zunehmend mehr junge Menschen Einrichtungen der Caritas aufsuchen. Das ist beispielsweise im Haus Margaret, dem Obdachlosenhaus für Frauen in Bozen der Fall, wo von 46 betreuten Frauen im Jahr 2017 neun unter 30 Jahre alt waren und elf unter 40 Jahre. Auch beim Bahngleis 7, der Anlauf- und Betreuungseinrichtung für Suchtkranke in Bozen, wurden vermehrt junge Menschen im Alter von 18 und 24 Jahren vorstellig. „Sie stammen zumeist nicht aus Familien mit großen ökonomischen, sozialen und/oder persönlichen Problemen – was gemeinhin Ursache für risikohaftes Verhalten ist. Vielmehr handelt es sich hier um ein Phänomen, das darüber hinausgeht und möglicherweise auch Folge eines zu oberflächlichen Wohlstandes oder von Kontaktarmut bzw. Armut an menschlichen Beziehungen ist“, sagt Tucconi.
Nach wie vor hoch blieb der Bedarf an Unterstützung bei den Caritas-Diensten, welche sich um Zuwanderer, Asylwerber und Flüchtlinge kümmern. So führt die Caritas weiterhin 11 Flüchtlingshäuser, in denen 2017 mehr als 600 Personen beherbergt wurden. „Während es in der Anfangszeit vor allem darum ging, die ganze Flüchtlingsarbeit aufzubauen, liegt der Schwerpunkt nun bei der Integration sowie in der Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche“, sagt Alessia Fellin, verantwortlich für den Flüchtlingsbereich der Caritas. „Die Zeiten für das Asylverfahren sind sehr lang und der Ausgang stets ungewiss. Deshalb ist es für die Antragsteller wichtig, während dieser Zeit ein Ziel zu haben, zu wissen, wofür es sich lohnt zu warten, sich zu bemühen und einen Platz in der Gesellschaft zu finden, in der sie jetzt leben und der sie vielleicht bleiben können. Weiterbildung, Freiwilligenarbeit und Arbeitserfahrungen sind dabei wichtige Säulen. Dank intensiver Bemühungen ist es uns gelungen, dass 60 Prozent der Bewohner unserer Häuser im vergangenen Dezember eine Beschäftigung hatten“, berichtet Fellin. Neben der Arbeit, ist auch das Wohnen ein großes Thema: „ „Die meisten Bewohner, die in den vergangenen zwei Jahren unsere Häuser verlassen mussten, haben dank unseres Auszugsmanagements eine Unterkunft in Südtirol gefunden. In Zahlen ausgedrückt waren das im Jahr 2017 insgesamt 49 begleitete Fälle, 9 davon Familien, also insgesamt 73 Personen.“
Doch der Wohlstand unseres Landes hat gerade auch für Zuwanderer seinen Preis: Das zeigt sich z.B. an der hohen Zahl an betreuten Personen in den für sie zur Verfügung stehenden Beratungseinrichtungen: So verzeichnete die Flüchtlingsberatung in Bozen mit 1.740 Nutzern die höchste Betreutenzahl seit ihrem Bestehen, ebenso die MigrantInnenberatung Moca in Meran (1.197 Klienten, auch das fast eine Verdoppelung im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren). Schwerpunkte bei dieser Arbeit sind gezielte Hilfestellungen in juridischen Fragen, beim Spracherwerb sowie hinsichtlich der Arbeits- und Wohnungssuche. Zudem versuchen die betroffenen Dienste verschiedene Projekte und Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Bürgerinnen und Bürgern zu schaffen.
Für manche Personen geht es aber auch um die Abdeckung elementarster Bedürfnisse, wie etwa Essen. Das zeigt sich besonders in den Essensausgabestellen der Caritas. In der Essensausgabe Clara in Bozner Bahnhofsnähe beispielsweise hat sich die Zahl der Gäste in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt (im Jahr 2017 erhielten hier 1.483 Personen zumindest eine warme Mahlzeit am Tag). Ohne die Hilfe von zahlreichen Freiwilligen wäre der tägliche Dienst nicht möglich.
Doch auch die seelischen Nöte machen den Menschen in Südtirol weiterhin zu schaffen, auch wenn die Zahl der Hilfesuchenden bei den Caritas-Diensten in diesem Bereich leicht rückläufig sind. Auch hier lässt sich festmachen, dass viele mit den hohen Leistungsanforderungen nicht zurechtkommen, an Einsamkeit und Ausgrenzung leiden, vermehrt zu Suchtmitteln greifen und psychisch unter Druck stehen.
Dass immer noch zahlreiche Menschen sich freiwillig in den verschiedenen Caritas-Diensten einbringen, stimmt die Caritas-Verantwortlichen zuversichtlich. „Ohne die Zusammenarbeit und Unterstützung unserer zahlreichen freiwilligen Helferinnen und Helfer – insgesamt 5.000 – wäre das schlicht unmöglich. Sie wenden eines ihrer kostbarsten Güter auf, nämlich Zeit, um für andere Menschen da zu sein“, hebt Direktor Paolo Valente die wertvolle Arbeit der Ehrenamtlichen hervor. „Die Pfarreien als lokales Bindeglied innerhalb der Gesellschaft spielen dabei eine wichtige Rolle.“
„Unvorstellbar wäre die Hilfe der Caritas auch ohne die großzügige finanzielle Unterstützung der Südtiroler Bevölkerung. 2017 haben 7.250 Spenderinnen und Spender die Arbeit der Caritas unterstützt. Davon wurden 660.000 Euro für Not in Südtirol gespendet, und 1,96 Millionen Euro (inklusive der Landesbeiträge) gingen für Hilfsprojekte außerhalb des Landes ein. Besonders solidarisch zeigten sich die Südtiroler dabei mit der hungerleidenden Bevölkerung in Afrika (1,1 Millionen Euro)“, sagt Valente. „Die Bekämpfung des Hungers und die Existenzsicherung stehen in unserer Entwicklungszusammenarbeit immer im Vordergrund. Dabei ist es uns aber wichtig, die notleidende Bevölkerung nicht nur mit Hilfsgütern zu versorgen, sondern sie darin zu unterstützen, selbständig ihre Zukunft zu meistern. Wie übrigens in allen unseren Diensten die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund steht“, schließt Valente den Wirkungsbericht der Caritas für 2017 ab.