Von: luk
Bozen – Der Beruf der Hebamme ist einer der ältesten der Welt. In den nördlichen Ländern gewinnt er zunehmend an Bedeutung. Auch Südtirols Hebammen kämpfen um ihren Stellenwert und ihre Sichtbarkeit. 209 Hebammen sind derzeit in Südtirol aktiv, zwei davon Männer. Sie arbeiten im Krankenhaus, im Sprengel oder freiberuflich. Einen unkomplizierten Geburtsverlauf begleitet eine Hebamme alleine. Ein Arzt oder eine Ärztin kommt erst bei Besonderheiten oder im Krankheitsfall dazu. Südtirols Hebammen stellen fest, dass das Körperbewusstsein der Frau und das Vertrauen in die ureigene weibliche Kraft schwinden. Sie unterstützen die werdenden Eltern beim Wunsch nach maximaler Sicherheit, raten allerdings von vorschneller Medikalisierung ab. Um die Frauen und Familien zu stärken und ihre Berufsgruppe in den Mittelpunkt zu rücken, deklarieren Südtirols Hebammen die erste Maiwoche rund um den Welttag am
5. Mai zur Woche der Hebammen. Plakate, Aktionen auf der Straße und in sozialen Netzwerken weisen auf die Wichtigkeit des Berufsstandes hin. Höhepunkt ist eine internationale Tagung im Haus der Familie am Ritten am 6. Mai unter dem Motto „Selbst-bewusst gebären“.
„Die Hebamme ist für alle da“, sagt Astrid Di Bella, Vorsitzende des Kollegiums der Hebammen der Provinz Bozen. Hebammen begleiten Babys durch die erste Lebenszeit, beraten Mädchen und Jungen in der Pubertät, sind kompetent bei Fragen zu Sexualität und Verhütung, stehen werdenden Müttern und Vätern in der Schwangerschaft zur Seite, unterstützen die Frauen während und nach der Geburt, begleiten sie beim Stillen, binden die Väter mit ein und wissen in den Wechseljahren Rat.
Nadja Aahlbrecht Kompatscher aus Völs hat acht Mal geboren. Sieben Kinder leben und sind zwischen einem und 23 Jahre alt. Bei fünf Schwangerschaften ließ sich die heute 45-Jährige von der Sprengelhebamme begleiten. Irene Delago, ebenfalls aus Völs, ist seit 22 Jahren Hebamme und erklärt die Aufgaben einer Hebamme im außerklinischen Bereich. Dort arbeiten Hebammen im freiberuflichen Kontext oder im Angestelltenverhältnis. Sie begleiten die Frau durch die Schwangerschaft und das Wochenbett, betreuen das Neugeborene, führen Sexual- und Gesundheitserziehung in der Schule und in der Familie durch, halten Geburtsvorbereitungskurse und setzen sich für die Prävention beziehungsweise bei der Früherkennung von Tumoren ein. Hebammen können außerdem Beckenbodentraining und Rückbildungsgymnastik anbieten, stehen bei Menstruationsproblemen, bei der Familienplanung und in den Wechseljahren beratend zur Seite. Aufgrund des breitgefächerten Berufsprofils der Hebamme bleibe die Hebamme für Frau und Familie von null bis 99 Jahren Ansprechpartnerin, erklärt Irene Delago. Der große Vorteil der außerklinischen Betreuung bestehe darin, dass die Hebamme vor Ort anwesend sei. Diese aufsuchende Arbeit schätzen Frauen besonders bei den Hausbesuchen im Wochenbett, da es für manche aus organisatorischen oder gesundheitlichen Gründen schwierig ist, ihren Wohnsitz zu verlassen. Nadja Aahlbrecht Kompatscher stimmt zu: „Ich habe die wohnortnahe äußerst professionelle Versorgung und das große Vertrauen sehr geschätzt“, sagt. Diese Art der Betreuung sei unkompliziert, unbürokratisch und zeitsparend. Während der Schwangerschaften ist sie nur zu Ultraschalluntersuchungen ins Krankenhaus gegangen. Auch ihre älteren Töchter hätten die Sprengelhebamme bei Beratungsgesprächen und Paptests in Anspruch genommen. Der Dienst der Sprengelhebamme entlaste Familie und Krankenhaus, ist die mehrfache Mutter überzeugt.
209 Hebammen sind derzeit im Register der Hebammen in Südtirol eingetragen. Sie sind zwischen 21 und 70 Jahre alt und zwei davon Männer (Geburtshelfer). Die meisten Hebammen arbeiten in einem Angestelltenverhältnis, rund ein Dutzend als Freiberuflerinnen. Hebammen können Frauen durch eine normal verlaufende Schwangerschaft begleiten, erklärt Astrid Di Bella. Während der Geburt sei die Anwesenheit einer Hebamme zwingend erforderlich, die eines Arztes nicht. Die Nachsorge-Hebamme ist erste Ansprechpartnerin bei allen Fragen rund um die Stärkung der Beckenmuskeln, des Beckenbodens, des Bauches, aber auch rund um die Babypflege, das Stillen, die Gewichtsentwicklung und das Schlafverhalten des Kindes.
Astrid Di Bella arbeitet freiberuflich und schätzt den guten Bezug zu den Frauen und Familien, den sie aufgrund der ständigen Begleitung durch Schwangerschaft, Geburt und bei der Nachsorge aufbauen kann: „Immer häufiger suchen Frauen die individuelle und durchgängige Betreuung“, erklärt sie. Als Freiberuflerin könne sie flexibel auf die Wünsche der Frauen und Männer reagieren, sie bei der Geburt ins Krankenhaus oder bei der Hausgeburt und durch die Zeit danach begleiten. So entstünden Beziehungen, die ein Leben lang halten. Allerdings müssen die Familien die Kosten der freiberuflichen Hebamme selbst tragen. In Österreich oder Deutschland werden diese Kosten großteils von öffentlicher Seite zurückerstattet. Bei der Hausgeburt hingegen ist in Südtirol eine Rückvergütung von 514 Euro vorgesehen, im Trentino ist die Summe fast doppelt so hoch.
Florian Pallua ist Vater von zwei Kindern, das zweite ist vor kurzem geboren. Er lebt mit seiner Partnerin am Ritten und hat den Dienst einer freiberuflichen Hebamme bei beiden Kindern in Anspruch genommen: „Für uns war es wichtig, vor, während und nach der Geburt ein und dieselbe Bezugsperson zu haben“, erklärt er. So habe seine Familie individuelle und kontinuierliche Betreuung erhalten. Eine Geburt sei eine Ausnahmesituation, sagt der zweifache Vater. Dabei eine Vertrauensperson zu haben, auf deren Wort man sich verlassen könne und deren Anwesenheit Sicherheit und Ruhe ausstrahle, sei für seine Partnerin, aber vor allem auch für ihn sehr wichtig gewesen.
Im vergangenen Jahr 2016 wurden in Südtirol 5.447 Kinder geboren. Das sind fast 15 Geburten täglich. Jedes vierte Kind kommt per Kaiserschnitt zur Welt, nur ein halbes Prozent der Frauen gebärt zu Hause. Wenn Frauen von Hebammen gut betreut werden, gehe die Kaiserschnittrate merklich zurück, zitiert die Vorsitzende des Kollegiums Astrid Di Bella eine Studie des britischen „National Institute for Health and Care Excellence“. Das Vertrauen in den eigenen Körper steige und der Wunsch der Frauen, zu Hause oder außerhalb des Kreißsaales zu gebären, nehme zu.
Sara Zanetti arbeitet als Hebamme im Krankenhaus Brixen. Besonders gefordert sind Hebammen während der Geburt: „Wir tragen diese Verantwortung gerne“, sagt sie. Eine phsyiologische Geburt begleite die Hebamme alleine, bei Bedarf werde Gynäkologin oder Gynäkologe dazu geholt. Sie habe den Hebammenberuf gewählt, weil sie die Herausforderung liebt und Familien in der wohl spannendsten Phase ihres Lebens begleiten darf. Die Freude, eine Familie glücklich aus der Abteilung gehen zu sehen, sei ihr tägliches Ziel und größte Genugtuung, sagt Sara Zanetti. Nach den oft schwierigen Stunden einer Geburt gebe ihr das neue Leben Kraft und Wille, sich jeden Tag auf das Abenteuer Hebamme einzulassen. Allerdings müsse eine Hebamme stets auf alles vorbereitet sein. Sara Zanetti hat in ihren zwölf Dienstjahren in drei Südtiroler Geburtsabteilungen gearbeitet und schätzt die Qualität in den Krankenhäusern. Allerdings wünscht sie sich für ihren Berufsstand mehr Sichtbarkeit und eine noch intensivere Zusammenarbeit mit allen anderen Protagonisten rund um die Geburt: „Je vernetzter wir arbeiten, umso zufriedenstellender ist es für die Familien und auch für uns.“
Die Vorsitzende des Kollegiums der Südtiroler Hebammen Astrid Di Bella lädt Frauen und Familien abschließend ein, das breit gefächerte Angebot der Hebammen in Anspruch zu nehmen, sich während der Schwangerschaft gut zu informieren und bei der Geburt die Wünsche klar zu äußern: „Wir wollen, dass die Schwangere und Gebärende sich spürt, ihre Bedürfnisse und ihren Körper wahrnimmt, an ihre ureigene Kraft glaubt und das Kind selbstbestimmt zur Welt bringt“, fasst sie zusammen. Die Hebammen stünden an ihrer Seite.
Dort setzt auch die Sensibilisierung des Hebammenkollegiums an: Plakate, eine Social-Media-Kampagne, Flashmobs und eine Tagung rücken den Berufsstand in der Woche der Hebammen vom 27. April bis 6. Mai in den Mittelpunkt. Zur Tagung „Selbst-bewusst gebären“ am 6. Mai im Haus der Familie am Ritten können sich Interessierte unter Tel. 0471 345 172 anmelden, weitere Informationen finden sie unter www.hdf.it.