Von: mk
Bozen – Die positive Qualität der Arbeitsbedingungen wird vom EWCS in drei Schlüsselbereichen erfasst: „Zeitlicher Spielraum“ (fürs Erledigen von Arbeiten, Zeit selbst einteilen, Pausen, Vereinbarkeit Privatleben-Beruf), „Handlungsspielraum“ (Arbeit selbst bestimmen, Mitsprache, passende Ausbildung) und „Soziale Unterstützung“ (Unterstützung und Motivation durch Kollegen, Vorgesetze, Unternehmen/Organisation, Fortbildung). Diese sogenannten „Schutz- und Entlastungsfaktoren“ in der Arbeitswelt sind in Südtirol durchwegs gut bis sehr gut ausgeprägt. Das geht aus der Studie des AFI | Arbeitsförderungsinstitutes zu den Arbeitsbedingungen in Südtirol hervor.
Die „gute Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf“ geht von 75,3 Prozent im Gastgewerbe bis zu 92,7 Prozent in der Öffentlichen Verwaltung. Das selbständige Problemlösen in der täglichen Arbeit ist in allen Südtiroler Branchen durchschnittlich bei über 90 Prozent der Beschäftigten gang und gäbe. In allen Branchen gleich gut entwickelt ist die Unterstützung durch Arbeitskollegen: Das sagen 62,1 Prozent im Transportwesen bis hin zu 85,2 Prozent im Baugewerbe. Insgesamt ein sehr gutes Ergebnis im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern. Die Landwirtschaft punktet bei den zeitlichen Spielräumen und dem selbständigen Arbeiten. Das Baugewerbe hat seine großen Stärken in der sozialen Unterstützung. Die Unterstützung durch den unmittelbaren Vorgesetzten ist hier überdurchschnittlich stark ausgeprägt (77,5 Prozent). Im Gastgewerbe haben die Arbeitnehmer ein relativ ausgeprägtes Mitspracherecht bei der Auswahl von neuen Arbeitskollegen (44,2 Prozent). Im Sozialwesen ist die Betriebsführung überdurchschnittlich häufig in der Lage, die Mitarbeiter zu motivieren (70,9 Prozent). Der Handel profitiert eindeutig von seinen Handlungsspielräumen. Die Arbeitsweise individuell den Gegebenheiten anpassen ist im Handel für 83,8 Prozent der Beschäftigten möglich – und zu 100 Prozent können das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich Finanzdienstleistungen. Die Stärken des Gesundheits- und Sozialwesens liegen in den Fortbildungsmöglichkeiten. 72,9 Prozent der Beschäftigten in diesem Bereich durften an einer bezahlten Weiterbildungsveranstaltung in den zwölf Monaten vor der Befragung teilnehmen und 61,0 Prozent der Beschäftigten sind in diesem Zeitraum am Arbeitsplatz weitergebildet worden.
Die neueste Studie des AFI bietet über diese Daten hinaus noch sehr viel mehr. So zum Beispiel stellt Arbeitspsychologe und AFI-Forscher Tobias Hölbling fest, dass der Großteil der Entlastungs- und Schutzfaktoren beiden Geschlechtern gleichermaßen zugutekommt. Deutlich macht sich das Bildungsgefälle bemerkbar. Beschäftigte mit Studium profitieren am meisten von Entlastungs- und Schutzfaktoren. „Wenn in einem bestimmten Wirtschaftsbereich die Entlastungs- und Schutzfaktoren gut entwickelt sind, bedeutet das nicht automatisch, dass jeder einzelne Beschäftigte, der in dieser Branche arbeitet, Nutznießer dieses großen Schildes ist“, präzisiert Hölbling.
Auch wenn die Entlastungs- und Schutzfaktoren in Südtirol im Vergleich zu anderen Ländern alle gut bis sehr gut entwickelt sind, so soll das nicht heißen, dass sich Südtirol auf seinen auf den Lorbeeren ausruhen darf. Entlastungs- und Schutzfaktoren sollten in einer neuen Sozialpartnerschaft aufrechterhalten, gepflegt und wenn nötig ausgebaut werden, ist das AFI überzeugt. „Die Qualität der Arbeit wird in den Betrieben und Organisationen entschieden, denn die wahren Experten in der Beurteilung ihrer Arbeitsbedingungen sind die Beschäftigten selbst – von der Aushilfe bis zum Freiberufler, von der Reinigungskraft bis zum Geschäftsführer“, betont AFI-Direktor Stefan Perini.
„Beschäftigte zeigen hohe Leistungsbereitschaft“
„Mit dieser Studie hat das AFI zum ersten Mal die Qualität der Arbeitsbedingungen in der Südtiroler Arbeitswelt untersucht. Es ist sehr erfreulich, dass unsere Beschäftigten eine sehr hohe Leistungsbereitschaft zeigen. Dies erfordert einen guten Umgang mit den körperlichen und psychischen Belastungen durch die Investition in Entlastungs- und Schutzfaktoren wie flexiblere Arbeitszeitregelungen, Handlungsspielräume in einer selbständigen Einteilung der Arbeitsschritte, einen sozialen Umgang unter den Kollegen und mit den Vorgesetzten und eine kontinuierliche Weiterbildung. In diesen Bereichen stehen unsere Betriebe im Vergleich mit den Nachbarländern ausgesprochen gut da. Dies soll auch für die Zukunft ein Auftrag an die Sozialpartner sein“, erklärt die Landesrätin für Arbeit, Martha Stocker.
„Aktuell geben in der Südtiroler Arbeitswelt eine Reihe von Entwicklungen Anlass zu Optimismus, was uns freut. Soziale Gerechtigkeit bedeutet aber auch, dass ALLE Beschäftigten in den Genuss guter Arbeitsbedingungen kommen. Stärker als zuvor sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände angehalten, gemeinsam über Abkommen, Kollektivverträge und Mitwirkungsmöglichkeiten sicherzustellen, dass sich diese Entwicklung auch in den kommenden Jahren fortsetzt. Dazu brauchen wir eine erneuerte Sozialpartnerschaft“, erklärt AFI-Präsidentin Christine Pichler.
„Wenn wir die EWCS-Erhebung als Ganzes betrachten, soll sie für die Sozialpartner ein Ansporn sein, bei den kritischen Stellen einzugreifen, also jenen, die Krankheit und Unfälle verursachen, auf der anderen Seite aber auch ein Ansporn, die positiven Faktoren ständig zu verbessern“, betont INAIL-Landesdirektorin Mira Vivarelli.
Abrufbar ist die vollständige Studie auf der Homepage des Instituts www.afi-ipl.org unter diesem Link.