Externe Impulse maßgeblich, Binnennachfrage schwächelt

„Die Südtiroler Wirtschaft ‚krebst‘ vor sich hin“

Freitag, 26. Juli 2024 | 12:07 Uhr

Von: Ivd

Bozen – Die letzten drei Monate waren von signifikanten Ereignissen auf der weltpolitischen Bühne geprägt. Erstaunlicherweise zeigt sich die Weltwirtschaft davon relativ unbeeindruckt. Konjunktur-Lokomotive sind 2024 die USA (geschätztes BIP-Wachstum: Plus 2,6 Prozent), während die Wachstumsraten in den wichtigsten Ländern im Euroraum unter einem Prozent verharren. Südtirols Arbeitnehmende blicken den nächsten zwölf Monaten verhalten optimistisch entgegen. Die Situation am Arbeitsmarkt bleibt gut. Südtirols Konjunktur stützt sich derzeit vorwiegend auf Wachstumsimpulse „von außen“, sprich auf den Kaufkraftzufluss von Gästen und auf das Exportgeschäft. Die Binnennachfrage demgegenüber schwächelt, und zwar sowohl die Investitionstätigkeit als auch der Privatkonsum.

AFI-Direktor Stefan Perini: „Die Südtiroler Wirtschaft ‚krebst‘ vor sich hin“

Große Veränderungen auf der weltpolitischen Bühne kennzeichneten signifikant die letzten drei Monate: die EU-Wahlen, die Wahlen in Frankreich und Großbritannien, das Attentat auf Donald Trump und der Rückzug aus dem Rennen für die US-Präsidentschaft von Joe Biden. In diesem Lichte sind die militärischen Konflikte in der Ukraine und im Gaza-Streifen medial nahezu in den Hintergrund gerückt. Nicht weniger erstaunt es, dass die Weltwirtschaft von diesen Ereignissen relativ unbeeindruckt bleibt: Die Aktienmärkte in den USA und in Europa setzen ihren Höhenflug fort und die Konjunkturprognosen für das laufende Jahr sind sogar leicht nach oben revidiert worden. Der IWF (Internationaler Währungsfonds) rechnet in seinem Juli-Gutachten mit folgenden BIP-Wachstumsraten: USA Plus 2,6 Prozent; Euroraum: Plus 0,9 Prozent; Deutschland: Plus 0,2 Prozent; Italien Plus 0,7 Prozent. Wie das Ifo München im Juni festhält, arbeitet sich auch Deutschland langsam aus der Krise. Zu den anderen Entwicklungen: Die Inflation sinkt weiter und liegt in mehreren EU-Ländern – darunter Italien – schon unter der EZB-Zielmarke von 2 Prozent. Die EZB hat im Juni mit dem Absenken der Leitzinsen um 0,25 Basispunkte die Zinswende eingeleitet – zwei weitere Zinsschritte dürften noch bis Jahresende folgen. Erste Schwächesignale zeigen die Immobilienmärkte: Der Häuserpreisindex und die Immobilienverkäufe tendieren sowohl auf EU-Ebene, insbesondere aber in Deutschland, nach unten. Die Energiepreise stellen nach wie vor einen großen Unsicherheitsfaktor dar.

Zwischenbilanz 2024: Binnennachfrage schwächelt, Wachstumsimpulse hauptsächlich „von außen“

Die Bilanz von Südtirols Wirtschaft zur Jahresmitte 2024 ist zufriedenstellend – allerdings mit mehreren Schönheitsfehlern. Numerisch gesehen beeindruckten die Zahlen des Arbeitsmarkts (lohnabhängige Beschäftigung: Plus 1,6 Prozent, Erwerbstätigenquote: 74,8 Prozent, Arbeitslosenrate: 2,8 Prozent). Die Wachstumsimpulse für die Südtiroler Wirtschaft kommen allerdings aktuell vorwiegend “von außen” (sprich vom Tourismus, mit einem Nächtigungsplus von Plus 4,3 Prozent in den ersten fünf Jahresmonaten und vom Exportgeschäft, mit Plus 9,6 Prozent im ersten Jahresquartal), während die Binnennachfrage schwächelt. „Aufgrund des starken Kaufkraftverlusts der Familien in den letzten Jahren – immerhin ein Sechstel allein im Zeitraum 2021-2023 – sind die realen Konsumausgaben rückläufig. Des Weiteren gehen Unternehmensinvestitionen zurück und Wohnungskäufe schleppender voran, wie die Statistiken zur Kreditnachfrage unmissverständlich belegen“, erklärt AFI-Forscherin Maria Elena Iarossi. Wovon die wenigsten sprechen: Die Alarmsignale am Kreditmarkt verstärken sich zusehends, denn in den ersten Monaten des Jahres ist es zu einer weiteren Absenkung der Kreditnachfrage gekommen, ausgehend vor allem von den größeren Unternehmen (Stand 30.04.2024, Veränderungen im zwölf-Monatsvergleich: Insgesamt:  Minus 6,1 Prozent, Unternehmen>20 Beschäftigte:  Minus 10,0 Prozent; Unternehmen<20 Beschäftigte: Minus 4,4 Prozent; Privathaushalte: Minus 1,6 Prozent).

Die Stimmung: Unter Südtirols Arbeitnehmenden, weder Panik noch Euphorie

Die Stimmung unter Südtirols Arbeitnehmenden bleibt verhalten positiv. Mit Blick auf die nächsten zwölf Monate rechnet eine hauchdünne Mehrheit von Südtirols Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit einer besseren Entwicklung für Südtirols Wirtschaft (Index: Plus 5). Die Arbeitslosigkeit dürfte konstant bleiben. Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, wird weiterhin mit „moderat“ bewertet. Die Perspektiven, im Bedarfsfall einen gleichwertigen Job zu finden, bleiben günstig (Index: Plus 9), doch die Euphorie der beiden vorhergehenden Vergleichsquartale scheint verflogen zu ein. Die Fähigkeit der Arbeitnehmenden, mit dem Lohn über die Runden zu kommen, bleibt auf problematischem Niveau: 41 Prozent der interviewten Personen geben an, dass der Lohn nur mit Mühe bis ans Monatsende reicht. Hinsichtlich der Sparfähigkeit bliebt die Situation zweigeteilt: 50 Prozent der Befragten geben an, in den nächsten zwölf Monaten Geld ansparen zu können – die anderen 50 Prozent halten dies nicht für möglich.

Die Prognose: BIP-Wachstum von Plus 0,5 Prozent für Südtirols Wirtschaft im Jahr 2024

Die positiven Faktoren zuerst: Die Wachstumsprognosen für 2024 in den Haupt-Referenzländern für Südtirol wurden jüngst leicht nach oben korrigiert, wonach die Wachstumsimpulse auch für Südtirols Wirtschaft erhalten bleiben sollten. Der Südtiroler Arbeitsmarkt zeigt sich solide, die Vollbeschäftigungssituation bleibt aufrecht und die öffentliche Arbeitsvermittlung erzielt Fortschritte. Die lokale Inflationsrate liegt aktuell sogar unter dem Zielwert der EZB. Der Landeshaushalt wirkt als zusätzlicher Stabilitäts- und Ausgleichsfaktor. Die Erwartungen der Arbeitnehmer in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung Südtirols in den nächsten zwölf Monaten sind im Großen und Ganzen verhalten positiv. Zu den negativen Faktoren: Die Investitionstätigkeit von Unternehmen sowie die Nachfrage am Wohnungsmarkt schwächeln zusehends, wie die Daten des Kreditmarkts unmissverständlich belegen. Trotz Zinswende bleiben die Finanzierungskosten für Unternehmensinvestitionen und für Bauprojekte hoch. Die finanzielle Lage eines großen Teils von Arbeitnehmerfamilien bleibt angespannt und signifikante Lohnerhöhungen liegen – so die Signale von Arbeitgebervertretungen in den letzten Tagen – in weiter Ferne.

Angesichts des unterm Strich positiven Gesamtbildes bestätigt das AFI seine BIP-Prognose für die Südtiroler Wirtschaft im Jahr 2024 von Plus 0,5 Prozent.

AFI

Kommentar von AFI-Präsident Andreas Dorigoni

„Zwar steigen die Verbraucherpreise aktuell in geringerem Maß, als dies noch vor ein bis zwei Jahren der Fall war, allerdings soll dies nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass Südtirols Familien zwischen 2021 und 2024 in einem kurzen Zeitraum eine massive Erosion von Kaufkraft und Sparvermögen von rund einem Sechstel (!) hinnehmen haben müssen. Dies muss unweigerlich über Lohnsteigerungen ausgeglichen werden, will man nicht den Konsum und damit die wichtigste Komponente der Binnennachfrage abwürgen.“

AFI

Kommentar von Landesrätin Magdalena Amhof

„Die Südtiroler Landesregierung will bis 2025 sechs arbeitsmarktpolitische Ziele erreichen. Dabei wissen wir, dass die bloße Zunahme der Arbeitskräftezahl nicht ausreicht, um die Qualität des Arbeitsmarkts zu verbessern. Wir müssen uns fragen, welche Berufe in Südtirol benötigt werden, welche Talente angezogen und welche ins Ausland abwandern werden; mit der Neuausrichtung der Arbeitsvermittlungszentren sind wir ständig bemüht, dem demografisch bedingten Rückgang der Erwerbspersonen aktiv gegenzusteuern.“

Bezirk: Bozen

Kommentare

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7 Kommentare auf "„Die Südtiroler Wirtschaft ‚krebst‘ vor sich hin“"


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schwarzes Schaf
schwarzes Schaf
Universalgelehrter
2 h 45 Min

Leute mal ehrlich, wo ist euer Hausverstand am arsch??? Es kann die wirtschaft nicht immer steigen besonders wenn es ringsrum schon länger krieselt und irgendwann ist jeder markt übersättigt und natürlich ist nun auch das ersparte von corona weg stellt euch ein es wird nächstes jahr nicht besser

info
info
Universalgelehrter
2 h 39 Min

Hat ja mit Hausverstand nichts zu tun. Im Kapitalismus MUSS die Wirtschaft stetig wachsen, auch wenn dabei Mensch und Natur nicht nur ausgebeutet, sondern auch zerstört werden.

Doolin
Doolin
Kinig
2 h 52 Min

…zum Glück bringen die Touris uns allen a Geld, sonst müssten wir Hunger leiden…

Ninni
Ninni
Kinig
2 h 6 Min

@ Doolin

..und Steine klopfen 😉🤣👍

Septimus
Septimus
Universalgelehrter
2 h 35 Min

Das aktuelle Wirtschaftssystem steht vor einem längst überfälligen Crash, der durch die Modern Monetary Theory (MMT) nicht ewig hinausgezögert werden kann. Somit muss es erst noch einmal richtig weit nach unten gehen, bevor es wieder aufwärts gehen kann.

N. G.
N. G.
Kinig
2 h 6 Min

Ganz einfach, die USA haben ein 1000de Milliarden grosses Konjunkturprogramm aufgelegt, auf Schuldenbasis. Interessanter Weise, in erneuerbaren Energien und Steuernachlässen für Firmen.
Europa hat das Geld nicht und spart. Wer am Ende Recht hat wird man sehen. Man kann nur hoffen das den USA ihre Schulden nicht um die Ohren fliegen. Dann sind wir alle dran,

Erwin
Erwin
Tratscher
1 h 29 Min

Bei den Touris bitte nur gehobene Klasse und dann noch ein wenig Eintitt für die Städte und viel mehr Fahrradständer wie in Meran,dann brummt der Laden!Der Rest soll dann mit den Hubschrauber kommen und nicht mit den schlimmen Autos !😂😂😂😂😂😂😂

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