Nein zu Gentechnik „Made in Südtirol“!

Einführung der Gentechnik durch die Hintertür? – VZS protestiert

Donnerstag, 03. Juni 2021 | 10:32 Uhr

Von: mk

Bozen – Geht es nach dem neuen Strategiepapier für Landwirtschaft, dann soll Südtirol bis 2030 zum Land der Artenvielfalt, des sauberen Wassers, der fruchtbaren Böden und nicht zuletzt der Premiumprodukte werden. Offenbar aber auch zu einem Land, in dem gentechnisch veränderte Pflanzen gezüchtet werden. Darauf weist die Verbraucherzentrale Südtirol hin. Die VZS fordert, am Verbot der Gentechnik in der Landwirtschaft festzuhalten.

„Südtirol, das Land der Artenvielfalt“, „Gesellschaft & Dialog“ – so lauten zwei von vielen schönen Schlagworten im neuen Strategiepapier für die Südtiroler Landwirtschaft „LandWIRtschaft 2030“. Es enthält „konkrete Handlungsanleitungen und Perspektiven für die nächsten zehn Jahre“ (Zitat) und beschreibt folglich, in welche Richtung sich die Landwirtschaft in diesem Zeitraum entwickeln soll.

Bei der Lektüre des Programms ist dem Vorstand der Verbraucherzentrale Südtirol ein Punkt ganz besonders ins Auge gestochen, der in der Berichterstattung über die neue Strategie bislang unerwähnt blieb und in krassem Gegensatz zu den Prinzipien von Artenvielfalt und Dialog und zum bisherigen Bekenntnis zur Gentechnikfreiheit steht: die Entwicklung (und vermutlich in der Folge der Anbau) von gentechnisch veränderten Pflanzen „Made in Südtirol“. Im Kapitel „Begleitmaßnahmen“ ist im Abschnitt über den Ausbau der Forschung (Seiten 30-31) unter anderem wörtlich zu lesen:

Da wollen wir hin: (…) Moderne Züchtungsmethoden (CIS-Genetik, Genom-Editierung) für die Entwicklung von resistenten und robusten Sorten (…)

Konkrete Maßnahmen: (…) Züchtung standortangepasster und resistenter Sorten mit neuesten Technologien und Prüfung widerstandsfähiger Saatgutmischungen am Versuchszentrum Laimburg (…)

„Offenbar soll hier und jetzt ohne jede öffentliche Debatte und durch die Hintertür ein kompletter Paradigmenwechsel eingeläutet werden. Denn bisher gab es einen Konsens darüber, dass Südtirol gentechnikfrei sein soll: Die Aussaat von gentechnisch veränderten Pflanzen ist in Südtirol per Landesgesetz (Nr. 13 vom 16. November 2006, abgeändert zuletzt am 17. Jänner 2011) verboten – um die Umwelt, die Biodiversität und die traditionelle Landwirtschaft zu schützen“, erklärt die VZS. Tiere, deren Produkte mit der Bezeichnung „ohne Gentechnik“ gekennzeichnet werden, dürfen ausschließlich mit gentechnikfreien Futtermitteln gefüttert werden. Das Naturschutzgesetz (Landesgesetz Nr. 6 vom 12. Mai 2010) verbietet zudem das Ausbringen von gentechnisch veränderten Organismen in schützenswerten Gebieten und schreibt zum Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten angemessene Pufferzonen und Vorsorgemaßnahmen fest. Südtirol ist darüber hinaus offizielles Mitglied im europäischen Netzwerk der gentechnikfreien Regionen (European GMO-Free Regions Network).

„Von allem Anfang an haben wir uns gegen die Aussaat gentechnisch veränderten Saatguts gewehrt, um Südtirols Landwirtschaft gentechnikfrei zu halten“, so eine Aussage aus dem Jahr 2013 des damaligen Landeshauptmannes Luis Durnwalder. Und in Bezug auf die Kennzeichnung von gentechnikfreien Lebensmitteln sagte Durnwalder damals: „Wir haben uns für strenge Regeln entschieden, weil wir Etikettenschwindel verhindern wollen.“ Südtirols Verbraucher und Verbraucherinnen sollten nämlich wissen, ob die Lebensmittel, die sie kaufen, gentechnikfrei sind oder nicht. Und ebenfalls 2013 äußerte sich Durnwalder zum Verbot der Aussaat des gentechnisch veränderten Mais MON 810 durch die italienischen Minister für Gesundheit, Landwirtschaft und Umwelt wie folgt: „Wir sind froh darüber, dass vorerst einmal kein gentechnisch verändertes Saatgut auf Italiens Äcker kommt. Dies auch, weil – einmal ausgesät – die möglichen Folgen, etwa durch die Verunreinigung herkömmlicher Kulturen, nicht mehr rückgängig zu machen wären.“ Diesen Äußerungen von Altlandeshauptmann Durnwalder braucht laut VZS eigentlich nichts hinzugefügt zu werden.

Doch wovon sprechen wir, wenn wir von neuen gentechnischen Verfahren wie der Cis-Genetik und der Genom-Editierung sprechen? Die Cis-Genetik unterscheidet sich von der herkömmlichen Trans-Genetik, also der gentechnischen Übertragung von Genen artfremder Organismen in die Zielorganismen, lediglich dadurch, dass die übertragenen Gene aus derselben Art bzw. Gattung wie der Zielorganismus stammen. Keine Unterschiede gibt es jedoch in Bezug auf die Übertragungstechnologien: Wie bei der Trans-Genese wird auch bei der Cis-Genese ein Genkonstrukt zunächst im Reagenzglas (in vitro) hergestellt und dann mittels Vektoren (Transportvehikel) oder Genkanone in den Zielorganismus integriert, wo es dann an einer zufälligen Stelle in das Erbgut eingebaut wird. „Daher wird die Cis-Genetik als genauso risikoreich wie die Trans-Genetik eingestuft“, erklärt die VZS.

Genom-Editierung (engl. Genome Editing) bezeichnet verschiedene molekularbiologische Verfahren zur gezielten gentechnischen Veränderung des Erbgutes von Pflanzen, Tieren und Menschen. Bei diesen Verfahren wird die DNA des Zielorganismus mit einer so genannten Gen-Schere an einer bestimmten Stelle durchtrennt. Die Zelle aktiviert als Reaktion auf diesen Schnitt Reparaturmechanismen, welche zu künstlich ausgelösten Mutationen führen können. Zu den Verfahren der Genom-Editierung zählt unter anderen die CRISPR/Cas-Technik, welche auf einem natürlichen Abwehrmechanismus von Bakterienzellen basiert. In die Zielzelle wird mittels eines Vektors oder einer Genkanone ein Konstrukt aus einem Cas-Enzym und einer künstlich hergestellten Leit-RNA eingeschleust. Die Leit-RNA „findet“ dank ihrer Ähnlichkeit die zu verändernde Stelle des DNA-Stranges, dockt genau dort an, und das Cas-Enzym schneidet die beiden DNA-Stränge durch (Doppelstrangbruch). An dieser Stelle kann nun die zelleigene „Reparatur“ spontan erfolgen oder gezielt ein DNA-Abschnitt entfernt oder ein (miteingeschleuster) neuer DNA-Abschnitt eingefügt werden, um die Eigenschaften des Zielorganismus zu verändern. Sogar ganze Gene können mit dieser Methode eingefügt werden.

Befürworter und Befürworterinnen der neuen Gentechnik-Verfahren argumentieren damit, dass diese neuen Techniken sehr präzise seien und folglich kein Risiko für unerwünschte Effekte bestehe, dass die erzielten Änderungen theoretisch auch durch spontane Mutationen entstehen könnten und dass die damit hergestellten Endprodukte gar nicht transgen seien, also kein artfremdes Erbgut enthielten. Mit diesen Begründungen wollen sie – im Gegensatz zur derzeit gültigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes – erreichen, dass solcherart veränderte Organismen in Zukunft nicht mehr als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssten.

„Dagegen ist festzuhalten, dass auch in Bezug auf die neuen gentechnischen Verfahren unvorhergesehene und unerwünschte Auswirkungen auf das Genom oder die Physiologie von gentechnisch veränderten Organismen und in der Folge auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit nicht ausgeschlossen werden können“, so die VZS.

Zum Schutz der Verbraucher und Verbraucherinnen und der Umwelt fordert die Verbraucherzentrale Südtirol:

·  Südtirol ist zu klein, um gentechnisch veränderte Pflanzen neben gentechnikfreien Pflanzen anzubauen, eine Trennung der beiden Versorgungs- und Lieferketten nicht umsetzbar.

·  Die Südtiroler Landwirtschaft betont bei jeder Gelegenheit die hohe Qualität ihrer Produkte. Die Strategie „LandWIRtschaft 2030“ hat die „weitere Verbesserung der Qualität und die Positionierung von Südtiroler Produkten als gesunde Lebensmittel“ (Zitat) zum Ziel. Zudem soll die Artenvielfalt in Südtirol gesteigert werden. Der Verzicht auf Gentechnik, ja, das Verbot der Gentechnik sind die einzig logische Konsequenz.

·  Die Gentechnik darf in Südtirol nicht durch die Hintertür eingeführt werden. Ein derart einschneidender Paradigmenwechsel darf nicht ohne eine breit angelegte öffentliche Diskussion erfolgen. Eine große Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen in der EU lehnt die Gentechnik in der Landwirtschaft ab und unterstützt ein Verbot der Gentechnik in der Landwirtschaft.

·  Die neuen gentechnischen Verfahren müssen, mit allen damit verbundenen rechtlichen Folgen, als Gentechnik eingestuft werden. Die Verfahren sowie die damit hergestellten Organismen (Pflanzen, Tiere) müssen mindestens so streng reguliert werden wie die „klassischen“ gentechnischen Verfahren bzw. Produkte. Unabhängig davon, ob der veränderte Organismus als transgen oder als cisgen eingestuft wird, handelt es sich bei den Verfahren immer um gentechnische Verfahren, welche unter Einsatz von Material, das außerhalb der Zellen künstlich hergestellt bzw. zusammengefügt wurde, auf der Ebene des Genoms in die Zelle eingreifen und sie verändern. Der Prozess als solcher muss einer Regulierung unterliegen. Sowohl die neuen Gentechniken als auch die daraus resultierenden Organismen – auch wenn in ihnen möglicherweise keine „fremde“ DNA mehr nachweisbar ist – müssen einen Zulassungsprozess durchlaufen, der auf einer umfassenden und unabhängigen Risikoforschung basiert.

·  Derzeit liegen keine Daten über mögliche Wirkungen von Produkten der neuen Gentechnik-Verfahren auf Umwelt und Gesundheit vor. Bei der Anwendung neuer gentechnischer Verfahren in der Pflanzen- und Tierzucht, beim Umgang mit den resultierenden Organismen im Labor und in der Umwelt muss folglich konsequent das in den EU-Verträgen verankerte Vorsorgeprinzip angewendet werden. Allen Versuchen, das Vorsorgeprinzip zu schwächen, muss die Politik entschieden entgegentreten.

·  Der Schutz der gentechnikfreien Pflanzen- und Tierzüchtung sowie der gentechnikfreien biologischen und konventionellen Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung ist ohne Kompromisse sicherzustellen. Das Recht auf Wahlfreiheit muss für die Verbraucher und Verbraucherinnen, aber genauso für die Bauern und Bäuerinnen gewährleistet werden. Dafür und für den Erhalt der genetischen Vielfalt muss die gentechnikfreie Produktion geschützt werden.

·  Über die Techniken, die in der Sortenentwicklung angewendet werden, muss transparent informiert werden. Daher muss auch für die neuen gentechnischen Verfahren eine umfassende, lückenlose Kennzeichnungspflicht gelten.

·  Um dem „obersten Gebot, die bäuerlichen Familienbetriebe zu erhalten“, gerecht zu werden, braucht Südtirol eine bäuerliche und an den Prinzipien der Ökologie orientierte Landwirtschaft. Der Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen dagegen verstärkt sowohl die Industrialisierung der Landwirtschaft als auch die Abhängigkeit der Bauern und Bäuerinnen von großen Agrokonzernen.

Für eine Einführung der Gentechnik ohne eine öffentliche Debatte könne es keinen Konsens der Verbraucherinnen und Verbraucher geben, so die VZS.

Häufige Fragen zu den neuen Gentechnik-Verfahren werden auf der Internetseite der Schweizer Allianz Gentechfrei beantwortet: https://www.gentechfrei.ch/images/stories/pdfs/2018/2018FAQ.pdf

Ebendort sind auch zahlreiche vertiefende Informationen (Factsheets, Broschüren) zum Thema verfügbar: https://www.gentechfrei.ch/de/publikationen/fact-sheets

Bezirk: Bozen