Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit sollen zusammen gehen

EU-Kommission will Europa wettbewerbsfähiger machen

Mittwoch, 29. Januar 2025 | 17:25 Uhr

Von: apa

Die EU-Kommission will Europa wettbewerbsfähiger machen. Dazu will sie zahllose Gesetze und Vorschriften aufweichen und abbauen. Der am Mittwoch in Brüssel von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Industriekommissar Stéphane Séjourné präsentierte “Wettbewerbskompass” setzt auf die drei Pfeiler Förderung von Innovation, gemeinsamer Fahrplan für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit sowie Abbau von Abhängigkeiten und Erhöhung der Sicherheit.

Während im Zentrum der ersten Amtsperiode von der Leyens der Green Deal mit zahlreichen Regelungen für mehr Klimaschutz stand, hat sich das Blatt nun gedreht: Die krisengebeutelte Wirtschaft und auch Vertreter ihrer eigenen, konservativen Partei EVP fordern seit längerem immer vehementer eine Abkehr von den immer zahlreicher werdenden Regeln für Unternehmen. Auch die unter US-Präsident Donald Trump zu befürchtenden Handelsbeschränkungen spielen eine Rolle. Die neue EU-Kommission will sich daher darauf konzentrieren, Regelungen (wieder) abzubauen, und Wirtschaft, Innovation und Wachstum zu fördern.

Insgesamt soll rund ein Viertel weniger Bürokratie die Unternehmen belasten. Meldepflichten für kleine und mittlere Unternehmen sollen um 35 Prozent sinken. Rund 37 Milliarden Euro soll die Wirtschaft so einsparen können, so von der Leyen in der Pressekonferenz. “Die Welt wartet nicht auf uns. Es ist höchste Zeit, dass wir schneller werden”, betonte die Deutsche. Von einem “Vereinfachungsschock” und einer “Revolution” sprach der französische Kommissar Séjourné. Die Kommission strebt einen EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen für Unternehmen etwa im Steuer- oder Arbeitsrecht an.

Kritiker befürchten nun eine Aushöhlung des Green Deal. Von der Leyen bekräftigte aber am Mittwoch erneut, dass die in ihrer ersten Amtsperiode gesteckten Klimaziele des Green Deal nach wie vor gelten würden. Die EU will demnach bis 2050 klimaneutral werden. Gleichzeitig betonte sie aber die Wichtigkeit, “flexibel” und “pragmatisch” vorzugehen. Die EU müsse sich bei der Gesetzgebung auch eingestehen können, “das war nicht genug” oder “das war zu viel”, oder müsste anders gemacht werden.

Erste konkrete Vorschläge sollen Ende Februar kommen

Die “gemeinsame Roadmap” soll einen “wettbewerbsorientierten Ansatz zur Dekarbonisierung” vorgeben. Sie umfasst die für Ende Februar angekündigten Vorschläge “Clean Industrial Deal” und “Aktionsplan für erschwingliche Energie”. Europäische “Clean Tech”-Unternehmen sollen besonders gefördert werden. Der Kompass sieht auch maßgeschneiderte Aktionspläne für energieintensive Sektoren wie die Stahl-, Metall- und Chemieindustrie, die “in dieser Phase des Übergangs am meisten gefährdet” seien.

Von der Leyen will einige der erst kürzlich in ihrer ersten Amtsperiode beschlossenen Gesetze rasch überprüfen und eventuell überarbeiten. Schon im Februar könnten etwa erste konkrete Vorschläge zur Abschwächung des Lieferkettengesetzes, der EU-Taxonomieverordnung und zur Nachhaltigkeitsberichterstattung kommen. Diese EU-Regelungen haben zum Ziel, die Produktionsabläufe umwelt- und arbeitnehmerfreundlicher zu gestalten, und waren teils sehr umstritten.

Um die “Innovationslücke” gegenüber den USA oder Asien zu schließen und nicht den Anschluss zu verlieren, will Brüssel Investitionen in moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz mittels “KI Gigafabriken” und Start-up-Strategien noch mehr fördern. Europäische Firmen sollen in Zukunft bei öffentlichen Ausschreibungen in kritischen Wirtschaftssektoren bevorzugt behandelt werden. Dies kann als Reaktion auf die Vorwürfe der Kommission an China verstanden werden, chinesischen Unternehmen gegenüber europäischen Vorteile zu verschaffen. “Saubere Handels- und Investitionspartnerschaften” sollen die Versorgung Europas mit Rohstoffen, sauberer Energie und Technologien sicherstellen.

Wirtschaftsvertretende für Vereinfachung

“Der Kurswechsel hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit ist überfällig und längst notwendig. Entscheidend wird jedoch sein, ob die angekündigten Maßnahmen tatsächlich konsequent umgesetzt werden. Vor allem bei der Deregulierung und Entbürokratisierung besteht akuter Handlungsbedarf. Wir arbeiten bereits an konkreten Maßnahmen zur Vereinfachung, etwa bei den überbordenden Nachhaltigkeitsberichtspflichten, dem verfehlten Lieferkettengesetz und der Taxonomie und setzen uns dafür ein, dass diese Vorschläge auch berücksichtigt werden”, sagt Angelika Winzig, Wirtschaftssprecherin der ÖVP im Europaparlament, in einer Mitteilung.

“Wir haben uns auf Klimaziele geeinigt und an denen halten wir fest”, kommentierte NEOS-Europaabgeordnete Anna Stürgkh die Pläne der EU-Kommission. “Aber Ziele allein reichen nicht – wir müssen sie auch erreichen.” In Österreich neige man dazu, mit erhobenem Zeigefinger nach Brüssel zu zeigen, wenn es um Bürokratie geht. “Doch die Wahrheit ist: Österreich hat selbst ein massives Bürokratieproblem, das unsere Unternehmen ausbremst”, merkte Stürgkh an.

“Das sollte ein dringender Weckruf sein: Wir brauchen eine umfassende Neuausrichtung, wenn wir mit der Weltspitze mithalten wollen. Eine Strategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit mit Wachstumsimpulsen für Europa”, begrüßt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer die Ankündigungen. Auch NÖ-Bauernbund-Präsident Johannes Schmuckenschlager sagt: “Auch letzte Woche, direkt vor Ort in Niederösterreich, auf einem heimischen Hof, wurde mit Agrarkommissar Christophe Hansen klar gemacht, dass es eine Korrektur in Richtung praxistauglicher Maßnahmen braucht.”

“Die Absichtserklärungen der EU-Kommission für mehr Wettbewerbsfähigkeit hören sich gut an”, erklärt Herbert Jöbstl, Obmann des Fachverbands der Holzindustrie Österreichs und fordert: “Den Ankündigungen müssen schnell und konsequent Taten folgen. Unsere Unternehmen brauchen im dritten Jahr der Rezession konkrete Entlastungen und ein Signal des wirtschaftspolitischen Aufbruchs.”

“Europa muss den Wettbewerbs-Turbo zünden, damit wir wieder zu unseren internationalen Konkurrenten aufschließen können. Der ‘Kompass für Wettbewerbsfähigkeit’ identifiziert die richtigen Stellschrauben und ist ein wichtiges Signal. Jetzt ist es entscheidend, rasch in die Umsetzung zu kommen”, betont Mariana Kühnel, stellvertretende Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). “Im heutigen geopolitischen Klima ist die Umsetzung einer ehrgeizigen Strategie zur Diversifizierung von Handel und Investitionen ebenso wichtig. Darüber hinaus muss der akute Qualifikations- und Arbeitskräftemangel der Unternehmen dringend angegangen werden. Auf den Kompass müssen rasch konsequente Maßnahmen folgen, um sein Ziel zu erreichen”, erklärte BusinessEurope-Generaldirektor Markus Beyrer.

SPÖ, Grüne, NGOs sind skeptisch

“Die Kompassnadel des EU-Wettbewerbskompasses zeigt leider in Richtung einer unfairen Wettbewerbsordnung. Der Fokus liegt auf Deregulierung und der Senkung von Standards, statt auf politischen Zielen. Der ,Green Deal’ wird nicht einmal erwähnt und es entsteht der Eindruck, dass die EU-Kommission bereit ist, ihr eigenes Flaggschiffprojekt über Bord zu werfen und soziale Gerechtigkeit und den Umweltschutz zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu opfern”, kritisiert dagegen SPÖ-EU-Abgeordnete Evelyn Regner, Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss, in einer Aussendung.

Auch die grüne EU-Parlamentarierin Lena Schilling warnt: “Einfacher machen ja, abschwächen auf keinen Fall! Die Europäische Volkspartei versucht schon lange, den Green Deal unter dem Deckmantel der ‘Vereinfachung’ auszuhöhlen. Ursula von der Leyen darf hier nicht einknicken und den europäischen ‘Kompass’ Richtung Kinderarbeit ausrichten. Jede Änderung der Standards wäre eine Bankrotterklärung der Kommission und allem, was unter dem Green Deal erreicht wurde.”

“Zahlreiche Unternehmen haben sich für das EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen. Sie zeigen, dass Wirtschaften im Einklang mit Menschenrechten und der Umwelt möglich ist”, so Bettina Rosenberger, Geschäftsführerin des Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe). “Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung wollen Wirtschaftsverbände und Konservative enorm wichtige Schutzmechanismen für alle jene sabotieren, die unsere Kleidung nähen, und für unsere Produkte auf Plantagen schuften. Die EU und die österreichischen Regierungsverhandler:innen müssen jetzt für eine starke Umsetzung des Lieferkettengesetzes zusammenarbeiten”, ergänzt Stefan Grasgruber-Kerl, Lieferkettenexperte bei Südwind, in einer gemeinsamen Aussendung.

“Die Europäische Union scheint eher einen Wertekompass zu benötigen als einen Wettbewerbskompass. Statt Umweltschutz und demokratische Prinzipien über Bord zu werfen, muss die eingeschlagene Richtung zu einer Wirtschaft, die allen nützt und unsere Lebensgrundlagen erhält, beibehalten werden”, fordert Anna Leitner, GLOBAL 2000-Expertin für Ressourcen und Lieferketten. Auch die Dreikönigsaktion, das Hilfswerk der Katholischen Jungschar, warnt in einer Aussendung gemeinsam mit anderen kirchlichen Organisationen vor einer Aushöhlung des EU-Lieferkettengesetzes: Dieses inhaltlich wieder aufzumachen und womöglich neu zu verhandeln hätte fatale Folgen, unter anderem für Kinder, die derzeit unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten müssten.

“Angesichts der sich verschärfenden Klima- und Biodiversitätskrise braucht Europa klare und ambitionierte Leitlinien für Unternehmen. Gerade die Ökologisierung der Wirtschaft bringt neue Märkte und Arbeitsplätze hervor “, warnt WWF-Wirtschaftsexperte Jakob Mayr von einem “fatalen Irrweg”.

Auch Attac kritisiert den Wettbewerbskompass als Angriff auf “Umwelt-, Verbraucher*innen- und Arbeitnehmer*innenschutz”. “Hinter dem Schlagwort ‘Bürokratieabbau’ wollen Unternehmen seit langem wichtige Regulierungen im öffentlichen Interesse aushöhlen und abschaffen. Der Wettbewerbskompass zeigt, dass sie bei Ursula von der Leyen offene Türen einrennen”, kritisiert Mario Taschwer von Attac Österreich.

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