Von: luk
Bozen – Die so genannte Gurkenverordnung der EU sah für Gurken der Klasse Extra einen maximalen Krümmungsgrad von zehn Millimetern auf zehn Zentimeter Länge vor. Seit 2009 ist dieses Schreckgespenst der EU-Bürokratie Geschichte. In jenem Jahr wurden für 26 von insgesamt 36 Obst- und Gemüsearten die speziellen Vermarktungsnormen abgeschafft, darunter Gurken, Karotten, Zucchini und Spargel.
Für Äpfel, Birnen, Erdbeeren, Gemüsepaprika, Kiwis, Pfirsiche und Nektarinen, Salate (inklusive Endivie), Tafeltrauben, Tomaten sowie Zitrusfrüchte, die im Handel frisch angeboten werden, gelten in der EU aber nach wie vor spezielle Vermarktungsnormen, einschließlich einer Größensortierung und einer Einteilung nach Güteklassen. Dabei werden die drei Klassen Extra, I und II unterschieden. Ware der Klasse Extra weist die höchste äußere Qualität hinsichtlich Form, Entwicklung und Färbung auf und ist praktisch makellos. Bei Ware der Klasse I sind leichte „Fehler“ hinsichtlich Form, Entwicklung und Färbung sowie leichte Schalenfehler zulässig. Ware der Klasse II darf „fehlerhaft“ hinsichtlich Form, Entwicklung, Färbung und Schale sein, definierte Mindeststandards müssen dennoch eingehalten werden.
Obst- und Gemüsearten, für welche keine speziellen Vermarktungsnormen gelten, müssen der allgemeinen Vermarktungsnorm entsprechen. Demnach muss die Ware ganz, gesund (frei von Fäulnis oder Krankheiten), von frischem Aussehen, sauber und frei von sichtbaren Fremdstoffen (z.B. Erde, Schmutz, sichtbare Rückstände von Behandlungsmitteln), frei von Schädlingen (z.B. Maden, Blattläuse), frei von Fraß- oder Einstichstellen durch Schädlinge, frei von Nässe (lediglich Kondenswasserbildung ist zulässig), frei von Fremdgeruch und -geschmack und nicht zuletzt ausreichend reif, aber nicht überreif sein. Zudem muss das Herkunftsland angegeben werden. Die Toleranzgrenze für Erzeugnisse, die die Vorgaben nicht erfüllen, liegt bei maximal zehn Prozent einer Partie. Eine Klassenangabe ist für diese Obst- und Gemüsearten nicht vorgesehen, der Handel kann aber auf freiwilliger Basis die produktspezifischen Handelsnormen der UNECE (United Nations Economic Commission for Europe) anwenden, sofern eine entsprechende UNECE-Norm existiert.
Von der Einhaltung der Vermarktungsnormen ausgenommen sind unter anderem Früchte und Gemüse, die ab Hof direkt an die Endverbraucher und -verbraucherinnen verkauft werden, zerkleinerte verzehr- oder küchenfertige Früchte und Gemüse sowie Ware, die für die industrielle Verarbeitung oder die Tierfütterung bestimmt ist.
„Die Vermarktungsnormen der EU zielen in erster Linie auf die äußerlichen Merkmale von Früchten und Gemüse und eine möglichst einheitliche optische Qualität ab“, resümiert Silke Raffeiner, die Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Südtirol. „Geschmack und Nährwert spielen dabei keine Rolle.“
Die Verbraucherzentrale Niedersachsen hat 2022 einen Marktcheck für Obst und Gemüse im Einzelhandel durchgeführt. Ihr Fazit lautet: „Das Angebot von optisch einwandfreiem und einheitlichem Obst und Gemüse ist im Handel nur möglich, weil die Landwirtschaft sehr strenge Vorgaben erfüllen muss. Diese Vorgaben führen zu einem vermeidbaren Ressourcenverbrauch sowie zu Lebensmittelverschwendung. Wenn der Handel mehr Obst und Gemüse der Klasse II anbietet, könnte dies zu einem realistischeren Bild von landwirtschaftlich erzeugten Produkten im Markt führen. Gemüse unterschiedlicher Größe anzubieten, kann Lebensmittelverschwendung reduzieren.“