Von: apa
Immer wieder wurde im Vorfeld der EU-Wahlen vor der Gefahr von Desinformation gewarnt. Der Fokus liegt dabei vielfach auf KI-basierten Falschinformationen, die in sozialen Netzen verbreitet werden. Deren kurzfristige Auswirkung werde aber überschätzt, andere Formen der Desinformation im Vergleich unterschätzt, so der Tenor am Dienstag bei einer Online-Expertendiskussion des deutschen Science Media Center. Auch die Rolle des Journalismus wurde dabei thematisiert.
Eine zu alarmistische Medienberichterstattung über großangelegte Online-Desinformationskampagnen, ohne auf deren tatsächliche Auswirkung auf die öffentliche Meinung einzugehen, könne den Effekt der Desinformationskampagne – das Vertrauen in die Demokratie zu schwächen – sogar noch vergrößern, warnte sinngemäß der Politikwissenschaftler Andreas Jungherr von der Universität Bamberg. Es brauche eine Berichterstattung, die kontextualisiert.
Der tatsächliche Effekt von einzelnen Online-Kampagnen sei schwer auszumachen, meint auch Philipp Müller, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Mannheim. So sei oft nicht bekannt, wie viele Menschen eine bestimmte Falschinformation tatsächlich auf sozialen Medien angezeigt bekommen haben – auch weil die dahinterstehenden Konzerne die entsprechenden Daten nicht preisgeben.
Zudem wirke Desinformation oft so, dass sie bereits vorhandene Vorstellungen verstärkt, sagte die wissenschaftliche Koordinatorin Josephine Schmitt vom Center for Advanced Internet Studies. Dass Falschinformationen eine Person gänzlich umstimmten, sei dagegen unwahrscheinlich. Grundsätzlich wirke Desinformation aber stärker bei Menschen, die ein starkes Bedürfnis nach klaren Weltbildern haben.
Die drei Expertinnen und Experten waren sich zudem einig, dass die Aufmerksamkeit nicht nur auf Online-Kampagnen gelegt werden sollte, und diese dadurch gegenüber “traditionelleren” Arten der Desinformation überschätzt werden. So werde auch auf klassischen Wahlplakaten mit Desinformation gearbeitet, so Schmitt.
Auch klassische Medien würden teils Falschinformationen verbreiten, so Jungherr. Er verwies hier als Beispiel auf die USA, wo viele Medien falsche oder stark überzogene Aussagen des damaligen Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump wiedergegeben hätten, weil diese viele Klicks gebracht hätten. Es sei wichtig, Aussagen von Politikerinnen und Politikern in einen Kontext zu setzen.
Allgemein rechnet Jungherr nicht damit, dass Online-Desinformation einen großen Einfluss auf die Europawahlen haben werde. Auch Müller rechnet nicht mit einem allzu starken Effekt von Desinformationskampagnen vor der Wahl. Sehr wohl könne Desinformation aber einen kumulativen Effekt über längere Zeit hinweg haben, weil diese “Diskurse verschiebe”.