Offener Brief

FH setzen sich für deutschsprachige Krankenpfleger ein

Donnerstag, 20. Juni 2019 | 17:58 Uhr

Von: luk

Bozen – In einem offenen Brief an die Südtiroler Kammer der Krankenpflegeberufe fordern die Freiheitlichen auf, deutschsprachige Krankenpfleger nicht zu diskriminieren und sprechen von einer Verletzung von Art. 99 des Autonomiestatuts.

 

 

Offener Brief: Verletzung von Art. 99 des Autonomiestatuts – Diskriminierung deutschsprachiger Krankenpfleger/innen

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin Paola Cappelletti,

 

wir beziehen uns auf Ihr Schreiben vom 13.6.2019, in welchem Sie darlegen, dass die Kammer quasi gezwungen wäre, von deutschsprachigen Ausländern, die einen Antrag auf Eintragung ins Berufsverzeichnis stellen, Italienischkenntnisse zu verlangen, ganz so, als ob sie nicht die Südtiroler Kammer, sondern jene der Toskana oder von Sizilien wären.

Bitte beachten Sie, dass die Verlegung des Arbeits- und Lebensmittelpunktes nach Südtirol für österreichische und deutsche Staatsbürger (bzw. andere EU-Bürger mit Deutschkenntnissen wie beispielsweise Slowaken oder Polen oft der Fall ist) eine Ausübung von deren Recht auf Personenfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union darstellt (Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union).

Dies ist eine der vier EU-Grundfreiheiten und Beschränkungen dieser Freiheit sind nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt.

Die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ist ein wichtiges Ziel der EU zur Verwirklichung eines funktionierenden Binnenmarktes. Dies bedeutet für die Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten insbesondere die Möglichkeit, als Selbstständige oder abhängig Beschäftigte einen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat als dem auszuüben, in dem sie ihre Berufsqualifikation erworben haben.

Ein Mittel dazu ist die Anerkennung der Berufsqualifikationen, die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat erworben wurden. Dazu wurde die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen erlassen, deren Artikel 53 hinsichtlich der Sprachkenntnisse Folgendes bestimmt: „Personen, deren Berufsqualifikation anerkannt wird, müssen über die Sprachkenntnisse verfügen, die für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat erforderlich sind.“

Diese Regel wurde von Italien mit d.lgs. 206/2007 umgesetzt, dessen Artikel 7 zu den Sprachkenntnissen bestimmt, dass für die Ausübung des Berufs der Besitz der „notwendigen Sprachkenntnisse“ Voraussetzung ist („per l’esercizio della professione i beneficiari del riconoscimento delle qualifiche professionali devono possedere le conoscenze linguistiche necessarie“).

2016 wurden diesem Art. 7 noch folgende Absätze hinzugefügt:

„1-bis. Nel caso in cui la professione ha ripercussioni sulla sicurezza dei pazienti, le Autorità competenti di cui all’articolo 5 devono verificare la conoscenza della lingua italiana. I controlli devono essere effettuati anche relativamente ad altre professioni, nei casi in cui sussista un serio e concreto dubbio in merito alla sussistenza di una conoscenza sufficiente della lingua italiana con riguardo all’attività che il professionista intende svolgere.

1-ter. I controlli possono essere effettuati solo dopo il rilascio di una tessera professionale europea a norma dell’articolo 5-quinquies o dopo il riconoscimento di una qualifica professionale.

1-quater. Il controllo linguistico è proporzionato all’attività da eseguire. Il professionista può presentare ricorso ai sensi del diritto nazionale contro la decisione che dispone tali controlli.

1-quinquies. Le autorità competenti di cui all’articolo 5 possono stabilire con successivi atti regolamentari o amministrativi, ciascuna per le professioni di propria competenza, il livello linguistico necessario per il corretto svolgimento della professione e le modalità di verifica.“

Der Artikel 7 wie auch der Artikel 53 der RL 2005/36/EG ist eine Beschränkung der Personenfreizügigkeit aus dem Grund der Gesundheit. Er ist grundsätzlich legitim, muss aber im Lichte der übergeordneten Grundfreiheit eng und zielführend ausgelegt werden.

Diesbezüglich ist die Südtiroler Kammer der Krankenpflegeberufe verpflichtet, die für Südtirol geltenden Sonderbestimmungen und die faktischen Rahmenbedingungen für die Ausübung des Krankenpflegeberufs in Südtirol zu beachten.

Dabei gilt es in erster Linie das Autonomiestatut zu beachten, dessen Artikel 99 hinsichtlich der Sprachen Folgendes vorschreibt: „Nella Regione la lingua tedesca è parificata a quella italiana che è la lingua ufficiale dello Stato.“ Deutsch ist demnach regionale Staatssprache Italiens und zweite Amtssprache Südtirols.

Das Autonomiestatut ist ein Verfassungsgesetz und jedem einfachen Staatsgesetz übergeordnet wie z.B. dem d.lgs. 206/2007 hierarchisch übergeordnet. Deshalb muss Art. 7 d.lgs. 206/2007 bei seiner Anwendung in Südtirol so interpretiert werden, dass für die Ausübung des Berufs Italienisch- oder Deutschkenntnisse Voraussetzung sind.

Dies unbeschadet der Pflicht zur deutsch-italienischen Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst. Wenn ein Krankenpfleger aber nur privat arbeiten will, muss er keinen Zweisprachigkeitsnachweis vorweisen, sondern es genügt, dass er nachweist, eine der beiden Amtssprachen Südtirols zu beherrschen.

Art. 7 Abs. 1-bis d.lgs. 206/2007 verlangt im Übrigen nur dann Italienischkenntnisse, wenn die Sicherheit der Patienten in Gefahr ist („Nel caso in cui la professione ha ripercussioni sulla sicurezza dei pazienti“). Dies trifft für Südtirol nicht zu, da ca. 70 % der Südtiroler nicht Italienisch, sondern Deutsch als Muttersprache haben (mal abgesehen von den Millionen Touristen aus Deutschland und Österreich, die jährlich nach Südtirol kommen und auch in deutscher Sprache gesundheitlich versorgt werden müssen) und alle italienischen Südtiroler ebenfalls Deutsch verstehen, da sie die Sprache von der Grundschule bis zur Matura lernen.

In Südtirol besteht deshalb keine Gefahr für die Sicherheit der Patienten, da diese in der übergroßen Mehrheit nicht auf Italienisch, sondern auf Deutsch behandelt werden

müssen und auch viele italienische Südtiroler Deutsch verstehen. Ein deutschsprachiger Krankenpfleger aus Österreich, Deutschland oder einem anderen EU-Mitgliedstaat, der die italienische Sprache (noch) nicht ausreichend beherrscht, ist deswegen definitiv keine Gefahr für die Gesundheit der Patienten!

Sie schreiben, dass Sie bereits letztes Jahr das Gesundheitsministerium und den Dachverband auf die besondere sprachliche Situation Südtirols hingewiesen und eine Abweichung von diesen Gesetzesbestimmungen eingefordert hätten und weiter in diese Richtung arbeiten würden.

Das ist aber der falsche Weg, denn das heute schon geltende Europarecht (Freizügigkeit), Verfassungsrecht (Art. 99 ASt: „la lingua tedesca è parificata a quella italiana“) und staatliche Recht („Nel caso in cui la professione ha ripercussioni sulla sicurezza dei pazienti“) ist bereits mehr als eindeutig: in Südtirol sind deutschsprachige Krankenpfleger keine Gefahr für die Gesundheit der Patienten, die deutsche Sprache hat den gleichen Status wie die italienische und eine sprachliche Diskriminierung deutschsprachiger EU-Bürger, die Ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben wollen, ist verboten.

Es braucht deshalb keine Weisung des Gesundheitsministeriums, sondern es genügt, dass die Kammer das heute schon geltende europäische und italienische Recht korrekt und nichtdiskriminierend anwendet.

Die einzig legitime Beschränkung aufgrund (noch) unzureichender Italienischkenntnisse könnte eine Beschränkung der Zulassung aus sprachlichen Gründen auf das Gebiet Südtirols sein, solange die betreffenden Antragsteller der Kammer gegenüber nicht den Erwerb von Italienischkenntnissen nachweisen. Das ist die einzige Beschränkung, die erlaubt ist, aber in keinem Fall dürfen Sie die deutschsprachigen Antragsteller durch ein Totalverbot der Berufsausübung (Nichteintragung ins Verzeichnis) diskriminieren.

Südtirol sucht händeringend nach Gesundheitspersonal und auch Sie, Frau Präsidentin, haben bereits einige gute Vorschläge in der Öffentlichkeit präsentiert, die den Notstand lindern könnten. Diese Praxis der rechtswidrigen Italienischprüfung führt aber dazu, dass der gesamte deutschsprachige Arbeitsmarkt von Südtirol faktisch ausgesperrt bleibt. Für Krankenpfleger aus Österreich, Deutschland oder Osteuropa sind Italienischkenntnisse nämlich in der Regel eine unzumutbare Hürde, weil sie Italienisch häufig erst dann erlernen, wenn sie längere Zeit in Südtirol sind. Genauso ist es auch bei einsprachig italienischem Gesundheitspersonal aus Italien, das im Gegensatz zu den deutschsprachigen Ausländern aber die Chance bekommt, binnen zwei oder drei Jahren adäquate Deutschkenntnisse zu erwerben.

Aus diesen Gründen fordern wir Sie auf, hier in Südtirol die deutsche Sprache nicht länger zu diskriminieren und ab sofort ausländische Antragsteller ins Berufsverzeichnis der Kammer einzutragen, wenn diese Kenntnis der italienischen oder der deutschen Sprache nachweisen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Andreas Leiter Reber                                                                           Dr. Otto Mahlknecht

Parteiobmann                                                                                             Generalsekretär

 

 

 

Bezirk: Bozen