Zwei russische Spioninnen enttarnt

Genosse Wirecard: BBC deckt Spionagenetzwerk um Jan Marsalek auf

Freitag, 04. April 2025 | 08:05 Uhr

Von: Ivd

Moskau – Seit langem ist bekannt, dass sich der Wirtschaftskrimi um den Ex-Vorstand der Wirecard AG, Jan Marsalek, nicht auf das Geschäft des Unternehmens beschränkte, sondern auch Geheimdienste mit im Spiel waren. Nun zeichnen Enthüllungen der BBC über die Mitglieder einer russischen Spionage-Zelle ein völlig neues Bild des ehemaligen Dax-Wunders, das Anleger mutmaßlich um 1,9 Milliarden Euro prellte. War Jan Marsalek der Kopf eines international agierenden Geheimdienstrings?

Zwei Frauen, die Teil eines in Großbritannien operierenden russischen Agentennetzwerks waren, sind von der BBC identifiziert worden. Die beiden Bulgarinnen, Cvetelina Gencheva und Tsvetanka Doncheva, sollen an gezielten Überwachungsaktionen beteiligt gewesen sein, um mutmaßliche Gegner des russischen Regimes auszuspionieren. Dabei sollen sie vertrauliche Informationen von verschiedenen Putin-kritischen Journalisten besorgt und weitergegeben haben. Bislang hatten die Frauen ihre Identität geheim halten können.

Spionage in der Luft

Besonders brisant sind die Vorwürfe gegen Gencheva, die in der Luftfahrtbranche arbeitet und ihre beruflichen Kontakte genutzt haben soll, um an persönliche Flugdaten verschiedener Ziele zu gelangen. Laut der BBC sei sie beispielsweise in einem Fall an der Observation des russischen Investigativjournalisten Roman Dobrokhotov beteiligt gewesen. Sie soll Spione auf den Plätzen neben Dobrokhotov platziert haben, damit diese unter anderem den PIN-Code seines Handys ausspähen konnten.

Gencheva soll sich in Online-Chats mit mehreren der inzwischen in London verurteilten Spione ausgetauscht haben. Ihre Verbindungen zur Gruppe um einen der mutmaßlichen Köpfe des Netzwerks, Orlin Roussev, sind in den Chats gut dokumentiert. Als die BBC versuchte, Gencheva mit den Vorwürfen zu konfrontierten, antwortete sie schriftlich, sie wolle sich nicht zu dem Fall äußern und spreche kein Englisch. Auf ihrem LinkedIn Profil wird jedoch deutlich, dass sie sogar einen Studienabschluss in englischer Sprache erlangt hat.

Stadt der Spione

Auch die zweite enttarnte Frau, Tsvetanka Doncheva, spielte eine entscheidende Rolle in dem Spionagenetzwerk. Sie wurde in Wien identifiziert, wo sie eine Wohnung gegenüber des investigativen Journalisten Christo Grozev bezogen hatte. Von dort aus beobachtete sie seine Aktivitäten und führte Videoaufzeichnungen durch. Außerdem machte Doncheva offenbar mit gezielten Sticker-Aktionen und Desinformationskampagnen in Wien Propaganda für den Kreml.

Doncheva wurde Ende vergangenen Jahres von der österreichischen Polizei festgenommen. Ein Gericht entschied jedoch, sie nicht in Untersuchungshaft zu nehmen, da aufgrund ihrer sozialen Integration, ihrer pflegebedürftigen Mutter, kein Fluchtrisiko bestünde. Die Chefredakteurin des Wiener Magazins „Profil“ und alleinstehende Mutter Anna Thalhammer, die selbst wiederholt Opfer von Spionageattacke und sogar Einbruchsversuche der Zelle wurde, fühlt sich von den Behörden vernachlässigt: „Ich kann nicht verstehen, warum die Person, die mich ausspioniert hat, auf freiem Fuß ist.“

Marsalek als Strippenzieher in Moskau

Das Spionagenetzwerk wurde laut Ermittlern aus Moskau von niemand Geringeren als Jan Marsalek gesteuert und stand unter der Kontrolle des russischen Geheimdienstes. Marsalek war als ehemaliger COO von Wirecard eine zentrale Figur im Finanzskandal um den deutschen Zahlungsdienstleister. Er gilt als treibende Kraft hinter den betrügerischen Machenschaften, durch die Wirecard im Juni 2020 Insolvenz anmelden musste. Anlegern entstand dadurch ein Schaden von 1,9 Milliarden Euro, die auf nichtexistierenden Geschäften von Wirecard beruhten. Kurz vor Bekanntwerden der Insolvenz floh Marsalek spektakulär nach Russland und wird seither gesucht.

Parallel zu den Enthüllungen laufen in Großbritannien bereits Gerichtsverfahren gegen sechs Mitglieder der Spionagezelle. Drei von ihnen legten ein Geständnis ab, die übrigen drei wurden nach einem Prozess für schuldig befunden. Die britischen Behörden warnten, dass das Netzwerk eine erhebliche Bedrohung darstelle und das Leben der Zielpersonen in Gefahr gewesen sei. In sichergestellten Chat-Protokollen zwischen Roussev und Marsalek sollen sogar Pläne zur Entführung und Ermordung einzelner Journalisten diskutiert worden sein.

Russland bleibt aktiv

Die Enthüllungen werfen ein grelles Licht auf die fortgesetzten Spionageaktivitäten Russlands in Europa. Während die britische Justiz bereits durchgegriffen hat, bleibt abzuwarten, ob Österreich und Bulgarien weitere Schritte gegen die beiden nun enttarnten Frauen einleiten. Klar ist: Die Bedrohung durch russische Geheimdienstoperationen ist real. Im Wirecard-Prozess dürfte es weiterhin zu spektakulären Wendungen kommen.

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