Umweltschützer wollen Priorität für die Bahn

Greenpeace fordert Reaktivierung eingestellter Bahnstrecken

Dienstag, 19. September 2023 | 15:15 Uhr

Von: apa

Österreich war eines von nur drei Ländern in der EU, die in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr in den Ausbau des Eisenbahnverkehrs investiert haben als in die Straßeninfrastruktur. Das geht aus einer deutschen Studie hervor, die im Auftrag von Greenpeace durchgeführt wurde. Dennoch findet die Umweltorganisation vor allem kritische Worte für Österreich und fordert die Reaktivierung von Strecken und Bahnhöfen, die seit 1995 geschlossen wurden, weil sie unrentabel waren.

Während in den Jahren 1995 bis 2018 europaweit das Straßennetz um über 30.000 Kilometer gewachsen sei, sei das Schienennetz im gleichen Zeitraum um mehr als 15.000 Kilometer geschrumpft, hat Greenpeace berechnen lassen.

Im Auftrag von Greenpeace untersuchten das Wuppertal Institut und der T3 Transportation Think Tank, wie sich die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs in der EU-27, Großbritannien, Norwegen und der Schweiz in den letzten drei Jahrzehnten verändert hat. Der Report zeigt, dass die untersuchten Länder seit 1995 um fast zwei Drittel mehr in den Ausbau und die Sanierung von Straßen investiert haben (1,5 Billionen Euro) als in den Ausbau des Bahnverkehrs (931 Milliarden Euro).

In den Jahren 2018 bis 2021 habe sich diese Schere etwas geschlossen: Die 30 europäischen Länder hätten in den Ausbau des Straßenverkehrs um ein Drittel mehr investiert als in den Bahnausbau. Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Luxemburg und das Vereinigte Königreich haben demnach in diesen vier Jahren sogar mehr in den Bahnverkehr investiert als in den Straßenverkehr.

Nicht gut genug, findet Greenpeace: In Österreich seien nämlich in den fast drei Jahrzehnten 655 Bahnkilometer und 230 Bahnhöfe stillgelegt worden.

“Nun sind die Landesregierungen gefordert: Vor allem im Schlusslicht Niederösterreich müssen stillgelegte Regionalbahnstrecken wieder reaktiviert werden”, meint Marc Dengler von Greenpeace Österreich. Dabei kommt es nach Ansicht der Umweltorganisation nicht darauf an, ob die Strecken rentabel sind.

Die ÖBB wollen diese Kritik nicht auf sich sitzen lassen: In den Jahren 2023 bis 2028 werde die ÖBB-Infrastruktur AG rund 1,8 Mrd. Euro in die Modernisierung und Attraktivierung der Regionalbahnen investieren, heißt es in einer Stellungnahme. Man sei gesetzlich verpflichtet, mit den zur Verfügung gestellten Steuermitteln sparsam und wirtschaftlich umzugehen. Daher könnten nicht alle Strecken erhalten und modernisiert werden. Wenn keine entsprechende Nachfrage zu erwarten sei, dürften die ÖBB entsprechend den vom Verkehrsministerium vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitskriterien nicht investieren.

Die Wiedereröffnung eingestellter regionaler Zugverbindungen würde enorme Kosten verursachen und geringen Nutzen bringen, argumentieren die ÖBB. Neue regionale Verbindungen werde es dort geben, wo es verkehrspolitisch und im Interesse der Steuerzahler sinnvoll sei, etwa auf der neuen Koralmbahn oder wie heute schon auf der neuen Weststrecke aus dem Tullnerfeld.

“Die Bahn ist die Zukunft des klimafreundlichen Verkehrs – deshalb investieren wir aktuell Rekordsummen in den Bau und die Modernisierung von Bahnstrecken”, betonte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Das bestätige auch die Studie: Österreich sei bei den Bahninvestitionen im europäischen Spitzenfeld. Außerdem gebe es “bei uns deutlich mehr Geld für Bahn als für die Straße”. “Wir haben beim Bahnausbau die Trendwende geschafft. Und das ist gut”, so die Ministerin.

“Nicht wer die meisten Schienenkilometer in der Landschaft verlegt, kommt seiner Verantwortung gegenüber den Menschen im Land nach, sondern wer die Mobilitätsbedürfnisse der Bürger ernst nimmt und sich um ein bestmögliches Angebot kümmert.” Mit dieser Feststellung konterte LH-Stellvertreter Udo Landbauer (FPÖ) den von Greenpeace erhobenen “Schlusslicht”-Vorwurf gegen Niederösterreich.

Der öffentliche Verkehr müsse abseits ideologischer Grabenkämpfe den Bedürfnissen der Menschen im Land entsprechen. Mit einem konsequenten Ausbau des Bahn- und Busangebotes sowie innovativen Projekten im bedarfsgesteuerten Verkehr (Stichwort letzte Meile) nehme Niederösterreich genau diesen Auftrag ernst und wahr, betonte Landbauer.

Im Auftrag des Landes Niederösterreich würden in den kommenden Jahren im Zuge der NÖ Bahnoffensive vier Regionalbahnen – Kamptalbahn, Erlauftalbahn und Traisentalbahn sowie Puchbergerbahn – durch die ÖBB Infrastruktur modernisiert, erinnerte der auch für Verkehr zuständige LH-Stellvertreter. Auf den Hauptstrecken passiere ebenfalls viel: So werde etwa die Franz-Josefs-Bahn von Wien nach Gmünd auf 160 km/h beschleunigt und teilweise zweigleisig ausgebaut. Auch der viergleisige Ausbau der Südbahn bis Anfang der 2030er-Jahre von Wien bis Mödling sei Teil der NÖ Bahnoffensive.

Zustimmung erntete Greenpeace indes vom niederösterreichischen SPÖ-Vorsitzenden. Landesrat Sven Hergovich forderte, dass stillgelegte Bahnverbindungen im Bundesland wieder reaktiviert werden, “insbesondere dort, wo sie für den Personenverkehr zwar geschlossen, für den Güterverkehr aber noch genutzt werden”. Diese Bahnkilometer hätten viel Potenzial, um optimale und klimafreundliche Verbindungen anbieten zu können. Niederösterreich müsse viel mehr in den Öffentlichen Verkehr investieren, so Hergovich.