Pfarrheim Bozen

Im Einsatz für obdachlose Menschen

Donnerstag, 11. März 2021 | 21:05 Uhr

Von: bba

Bozen – Seit 16. Jänner und noch bis 14. März bleibt die Temporäre Tagesstätte für obdachlose Menschen im Pfarrheim Bozen täglich jeweils von 9.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. 180 obdachlose Menschen werden begleitet, es wird Sensibilisierungsarbeit betrieben und Begegnung im Stadtzentrum ermöglicht.

Im vergangenen Winter war es eine nächtliche Schlafstätte für 50 Menschen, im heurigen Winter ist es eine Tagesstätte für 180 obdachlose Menschen: Wo Politik und Verwaltung versagen, haben erneut Freiwillige Verantwortung übernommen. Nachdem sich im heurigen eisigen Jänner trotz Drucks verschiedener Vereine und Privatpersonen keine Lösung für obdachlose Menschen abzeichnete, sind Ludwig Thalheimer, Caroline von Hohenbühel, Paul Tschigg, Marion Maier, Maria Lobis und Rudi Nocker aktiv geworden. Sie haben mit Wolfram Nothdurfter vom Pfarrheim Bozen eine Vereinbarung getroffen: 14 Tage lang wollten die sechs Freiwilligen den großen Saal des Pfarrheims als Tagesstätte für obdachlose Menschen führen – in der Hoffnung, dass dann von öffentlicher Seite eine Alternative angeboten würde. Weil dem nicht so war, haben 47 Freiwillige aus den ursprünglichen zwei Wochen zwei Monate gemacht. Sie haben 180 obdachlosen Menschen aus 26 Herkunftsländern 58 Tage jeweils neun Stunden lang einen warmen Raum zur Verfügung gestellt. Sie haben zugehört, Tee und Kuchen verteilt, Sprachkurse angeboten, Curricula geschrieben, Arbeit gesucht.

Am Sonntag, 14. März schließt die Tagesstätte: „Es darf keinen Winter mehr geben, in dem sich Stadt Bozen und Land Südtirol obdachlosen Menschen gegenüber so unverantwortlich verhalten“, unterstreichen die Freiwilligen der Tagesstätte und fordern ein Gesamtkonzept.

Südtirols Zivilgesellschaft hat sich auch im heurigen Winter obdachlosen Menschen gegenüber solidarisch gezeigt. Mehrere Gruppen von Freiwilligen sind auf dem Gebiet der Landeshauptstadt tätig. Die Gruppe um Ludwig Thalheimer und Caroline von Hohenbühel hat nach nur einem Gespräch mit dem Geschäftsführer des Bozner Pfarrheims Wolfram Nothdurfter und nach zwei Vorbereitungstagen den Saal im Pfarrheim Bozen am Samstag, 16. Jänner unter dem Dach des Vereins „Schutzhütte B1 Rifugio“ aufgesperrt. Coronabedingt ist im großen Saal Platz für 21 Menschen. Alle Menschen, die in der Notschlafstelle in der Messe Bozen untergebracht sind, und jene, die nach wie vor auf der Straße leben, sind seither zum Kommen eingeladen. Am 31. Jänner waren 79 Menschen in der Temporären Tagesstätte registriert, am heutigen Donnerstag, 11. März sind es 180 aus 26 Ländern. So viele
Menschen leben derzeit entweder prekär untergebracht in der Messe Bozen (zwischen 80 und 90 Menschen und nur noch bis Ende März), in Abbruchhäusern rund um die Landeshauptstadt, in Zelten entlang des Eisacks, unter Brücken und unter der Autobahn.

47 Freiwillige haben in täglich zwei Turnussen jeweils zu zweit oder dritt ihr offenes Ohr, Tee und Süßigkeiten angeboten. Sie haben ungefähr 700 Liter Tee ausgeschenkt, 80 kg Kekse und Kuchen verteilt, dazu 30 Kilogramm Äpfel und Bananen und rund zehn Kilogramm Schokolade. Die bunte Zusammensetzung der ersten Freiwilligen der Tagesstätte hat schnell Kreise gezogen: Innerhalb kürzester Zeit haben sich Dutzende Personen für Tagdienste einteilen lassen, haben sich Angehörige und Freundinnen gemeldet und Kekse, Kuchen, Hygienematerial, Kleidung jeglicher Art, Decken und Schlafsäcke gebracht oder auch Suppe für alle gekocht. Betriebe haben neue Wäsche und Schuhe, Lebensmittel, Tee, Pizzen und Säfte gestiftet.

Der VinziMarkt hat wöchentlich Kekse und Obst gebracht. Ludwig Thalheimer hat mit Maria Lobis ein Fotoprojekt initiiert, dafür alle Freiwilligen fotografiert und sie mit einer persönlichen Aussage an der Wand angebracht. Auf Facebook wurde täglich über den Verlauf in der Tagesstätte informiert. So war es möglich, Spenderinnen zu gewinnen. Rund 3.000 Euro fallen an Kosten für die tägliche Reinigung des Saales und für kleinere Unterstützungsmaßnahmen für die obdachlosen Menschen an. Diese Summe konnte zur Gänze mit Spenden abgedeckt werden.

Das Lernen der Sprache gehört zum wichtigsten Handwerkszeug für Integration. Vier Sprachmittlerinnen haben Kurse in deutscher und italienischer Sprache angeboten. Seit die Temperaturen wärmer sind, haben sie diese ins Freie vor das Pfarrheim verlegt. So konnten mehr obdachlose Menschen vom Unterricht profitieren als das im geschlossenen Raum möglich ist. Die Freiwilligen der Temporären Tagesstätte im Pfarrheim Bozen zeigen mit diesem Beispiel auf, was mit gutem Willen und viel Einsatz möglich ist. „Wir haben die Unfähigkeit und den Unwillen der Politik überbrückt“, sagen Ludwig Thalheimer, Caroline von Hohenbühel, Paul Tschigg, Marion Maier, Maria Lobis und Rudi Nocker. Sie haben Verantwortung übernommen, die andere von sich wegdrücken.

Einen Winter, in dem erst im Dezember begonnen werde, über Winternotschlafstellen nachzudenken und im Jänner noch immer keine Tagesstätten zur Verfügung stehen, dürfe es nicht mehr geben, betonen sie. Menschen ohne Dach über dem Kopf sind sehr fragile Gruppen. Wenn sie nicht aufgefangen und unterstützt würden, werden sie früher oder später zum Problem für die Gesellschaft, sagen die Freiwilligen.

Die „wintervolunteers“, wie sich die Freiwilligen im Fotoprojekt auf ihrer Facebook-Seite (https://www.facebook.com/BuchBookLibro) nennen, fordern, dass sich die Landes- und Stadtpolitik noch im Frühling zusammensetzt und dabei auch ehrenamtliche Vereinigungen einbindet. Es brauche ein Gesamtkonzept, um das große Problem der Obdachlosigkeit in Bozen nachhaltig zu lösen. Denn der nächste Winter kommt bestimmt. Die Freiwilligen der Temporären Tagesstätte fordern mehrere kleine Einrichtungen im Zentrum der Landeshauptstadt, wo sich obdachlose Personen in einem menschenwürdigen und warmen Umfeld aufhalten können und bei Bedarf Unterstützung erhalten.

Man könne obdachlose Menschen nicht in eine Halle an den Stadtrand sperren und hoffen, dass sie sich so in Luft auflösen. Mehrere überschaubare Einrichtungen im Stadtzentrum müssten von Fachkräften professionell geführt und laufend auf ihre Qualität und Effizienz hin überprüft werden. Dabei können auch Freiwillige eingebunden werden. Eine Tagesstätte erneut allein auf Freiwillige abwälzen, sei undenkbar.

Einige Gäste der Temporären Tagesstätte im Pfarrheim Bozen haben Arbeit in der Landwirtschaft gefunden. Das war möglich, weil sich Freiwillige für sie eingesetzt haben. Die Tagesstätte sei ein Gewinn für alle gewesen, betonen die Freiwilligen: für die obdachlosen Menschen, die hier eine warme menschenfreundliche Umgebung vorgefunden haben; für die Freiwilligen, denen sich eine neue Realität inmitten der Stadt eröffnet hat; für die Mitglieder der Dompfarre, deren Pfarrplatz aufgrund der nahen Tagesstruktur ruhiger geworden ist.

Freiwillige und beruflicher Hintergrund

Bei den 47 Freiwilligen handelt es sich unter anderem um Lehrpersonen, Freiberuflerinnen, Angestellte, Köchinnen, Pizzabäckerinnen, Journalistinnen, Fotografinnen, Hausfrauen und -männer, PR-Fachleute, Unternehmerinnen, Landwirtinnen, Kranken- und Altenpflegerinnen, Sozialarbeiterinnen und Studentinnen – im Alter zwischen 20 und 63 Jahren.

Menschen und Länder

180 Gäste aus 26 Ländern haben einen Ausweis und damit Zugang zur Tagesstätte erhalten: aus Ägypten, Afghanistan, Algerien, Bangladesch, Burkina Faso, Deutschland, Elfenbeinküste, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Irak, Iran, Italien, Kolumbien, Libyen, Mali, Marokko, Nigeria, Pakistan, Palästina, Senegal, Somalia, Türkei, Tunesien, Ungarn.

Bezirk: Bozen