Zwei gegensätzliche Standpunkte

Immer mehr Menschen mit Geldsorgen: Braucht es eine Reform der EEVE?

Freitag, 24. November 2023 | 08:14 Uhr

Von: mk

Bozen – Der Betrieb für Sozialdienste in Bozen hat erst kürzlich Alarm geschlagen, weil sich immer mehr Menschen das Leben nicht mehr leisten können. Vor allem die Kosten fürs Wohnen seien explodiert. Für den unabhängigen Wohnbauberater Christian Peintner ist das kein Wunder: Dass viele Menschen durch den Rost fallen, daran habe unter anderem auch die unabhängige Einkommenserklärung EEVE Schuld, ist er überzeugt. Im zuständigen Landesressort ist man hingegen völlig anderer Ansicht.

2011 war nach und nach die EEVE eingeführt worden, um den Zugang zu den öffentlichen Leistungen im Gesundheits- und Sozialbereich, aber auch zum Mietbeitrag gerecht und treffsicher zu gestalten. Ab 2017 wurde sie ebenfalls für den Zugang zur Wohnbauförderung des Landes notwendig, seit heuer benötigt man sie auch für die Zuweisung von Sozialwohnungen.

„Die Idee der EEVE war sicher ehrenvoll: Antragsteller für soziale Leistungen benötigen bei unterschiedlichen Ämtern nur mehr ein Formular“, erklärt Peintner gegenüber Südtirol News. Trotzdem werde die Einkommenssituation von einfachen Arbeitnehmern, von Familien und Rentnern in der EEVE-Erklärung nicht korrekt abgebildet, behauptet er.

„Die EEVE benachteiligt niedrige Einkommen – einerseits, weil die ehemaligen Freibeträge nicht mehr berücksichtigt werden und andererseits weil der pauschale Arbeitnehmerabzug in Höhe von 25 Prozent weggefallen ist“, so Peintner. Diese galten insbesondere für Wohnbau und Mietbeitrag.

Vorwurf der Intransparenz

Ein zweiter Nachteil sei: Die Arbeitnehmer – und auch die Rentner, die mit ihnen gleichgestellt sind – würden entmündigt. „Anstatt anhand von Eigenerklärungen die eigene Vermögenssituation dokumentieren zu können, wird diese anhand eines Algorithmus und einer Äquivalenzskala errechnet – ohne Einflussnahme oder Erklärungsmöglichkeit durch den Gesuchsteller“, kritisiert Peintner.

Die EEVE werde damit extrem intransparent – auch für die zuständigen Beamten. Peintner sagt weiter: „Es gibt keine Darstellung, wie das Einkommen errechnet worden ist, und was als Einkommen zählt. Echtes soziales Gleichgewicht aber kann nur über das Menschliche hergestellt werden, und viel zu oft lautet die negative Antwort der Sprengel-Mitarbeiter: Tut mir leid, aber das System ist eben so.“

Dass es viele Enttäuschte gibt, verwundert ihn deshalb nicht. „Schon allein der Name ‚einheitlich‘ lässt bei mir die Haare zu Berge stehen“, erklärt er, „denn gerade die soziale Treffsicherheit muss von Fall zu Fall gegeben sein, anstatt alles über einen Kamm zu scheren.“

Probleme sieht der Wohnbauberater unter anderem auch bei den Zivilinvaliden. „Wird die Arbeitsunfallrente als Lohnelement betrachtet, müssen Zivilinvaliden in Zukunft bei Sozialwohnungen viel höhere Mieten zahlen. Beim Mietbeitrag schauen sie eh schon durch die Finger. Glücklicherweise gibt es ein Gerichtsurteil, das zugunsten der Zivilinvaliden ausgefallen ist“, betont Peintner.

Doch was sollte sich konkret ändern? Peintner schlägt vor, dass die EEVE abgeschafft oder von Grund auf reformiert wird. „Als Abzug muss die Bruttosteuer anstatt der Nettosteuer gelten. Und: Wir brauchen wieder einen Freibetrag für gearbeitete Tage. Das würde in der Bevölkerung wieder zu einem sozialen Ausgleich zwischen Arbeitnehmern und Freiberuflern führen und die arbeitende Bevölkerung sowie die Rentnerinnen und Rentner nicht von vornherein ausschließen“, so der Wohnbauberater.

Einkünfte nur zu 90 Prozent des erklärten Wertes berücksichtigt – ein „zusätzlicher Vorteil“

Völlig anderer Ansicht ist hingegen Luca Critelli, Ressortdirektor für den Bereich Familie, Senioren, Soziales und Wohnbau. „Das zurzeit geltende Berechnungssystem der Einkommen- und Vermögenslage ist aus Sicht des Landes treffsicherer und für Arbeitnehmer vorteilhafter als das frühere System“, betont Critelli gegenüber Südtirol News.

Im Unterschied zum früheren System werde für die Bewertung der Einkommenslage nicht das Bruttoeinkommen – mit einem pauschalen Abschlag – herangezogen, sondern das Nettoeinkommen ermittelt. „Vom erklärten Bruttoeinkommen können heute eine ganze Reihe von Ausgaben wie Einkommenssteuer (IRPEF), Wertschöpfungssteuer (IRAP), Arztspesen, Zinsen auf Darlehen, Miete für die Hauptwohnung und Unterhaltszahlungen abgezogen werden“, fügt Critelli hinzu.

Durch das frühere System des Pauschalabzuges seien besonders Personen mit einem etwas höheren Arbeitseinkommen und Spesen – der sogenannte Mittelstand – benachteiligt worden, da diese durch den Pauschalabschlag nur teilweise berücksichtigt worden seien.

„Zudem werden im neuen System die Einkommen aus abhängiger Arbeit und gleichgestellte Einkünfte nur zu 90 Prozent des erklärten Wertes berücksichtig, was für Arbeitnehmer einen zusätzlichen Vorteil bringt und de facto einem Freibetrag gleichkommt“, betont Critelli.

Bezirk: Bozen