Von: ao
Bozen/Graz – 100 Menschen, die vor dem Krieg auf dem Balkan geflohen waren, lebten 1992 mehrere Wochen lang unbetreut am Grazer Hauptbahnhof. Pfarrer Wolfgang Pucher nahm sich ihrer an, ließ auf dem Sportplatz seiner Pfarre St. Vinzenz Zelte errichten und versorgte sie mit Essen und Kleidung. Während sich viele Pfarreiangehörige sträubten, packten andere tatkräftig an und unterstützten den Pfarrer in seinem Tun. 1991 hatte er den VinziBus gegründet, 1993 folgte das VinziDorf, die erste Dauerherberge für chronisch alkoholkranke obdachlose Männer Österreichs, in der sie weiterhin trinken dürfen. Im heurigen Herbst wird in Wien das zweite VinziDorf Österreichs eröffnet. Das jüngste Grazer VinziProjekt ist eine Hospizstation für Obdachlose – die erste im deutschsprachigen Raum. Zwei Tage lang besuchten 15 Mitglieder der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft die Grazer VinziWerke. Georg Oberrauch hat die Lehrfahrt als Vorsitzender des Bezirks Bozen organisiert.
Die Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter der VinziWerke fragen nicht nach Schuld oder Vergangenheit der notleidenden Menschen. Sie wollen ihnen eine lebenswerte Zukunft eröffnen. Getragen werden die 38 Grazer VinziWerke von 750 Freiwilligen. Ihnen zur Seite stehen 30 Hauptamtliche. Zu den herausragenden Einrichtungen zählen neben dem VinziDorf der VinziMarkt: Dort werden täglich rund 2,5 Tonnen Lebensmittel, Kosmetika und Hygieneartikel zu einem stark reduzierten Preis von minus 70 Prozent ihres Normalwertes verkauft. Gespendet werden die Waren von Supermärkten, Produzenten und Bauern. Fünf Mal in der Woche jeweils halbtägig geöffnet wird der VinziMarkt von einer hauptamtlichen und 23 ehrenamtlichen MitarbeiterInnen getragen, darunter drei Asylwerber. Einkaufsberechtigt sind finanziell bedürftige Menschen. Im Grazer VinziShop hingegen können alle Menschen einkaufen: Sie erhalten gespendete Secondhand-Kleidung zu Tiefstpreisen.
Das VinziNest ist eine Notschlafstelle für 80 männliche Gäste – hauptsächlich Roma – aus Osteuropa.
VinziHelp hingegen ist ein Haus für obdachlose Frauen. Sie bleiben so kurz wie möglich, aber so lange wie nötig. Die Statistik ergibt derzeit einen Aufenthaltsdurchschnitt von 60 Tagen.
Die 15 Südtiroler Mitglieder der Vinzenzgemeinschaft waren beeindruckt von der unbürokratischen Hilfe der Grazer VinziWerke, vom großen Engagement der Ehrenamtlichen im Dienst an den notleidenden Menschen und von der Tatkraft Wolfgang Puchers, der in Kürze seinen 79. Geburtstag feiert. Auch dank seines Einsatzes hat der Verfassungsgerichtshof 2013 das Bettelverbot in der Steiermark aufgehoben. Begründet wurde es damit, dass ein derartiges Verbot unsachlich sei und der Menschenrechtskonvention widerspreche.
Georg Oberrauch hat die Lehrfahrt der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft als Vorsitzender des Bezirks Bozen organisiert und ist dankbar für die erfahrene Inspiration: „Auch dank des Einsatzes von Pfarrer Wolfgang Pucher musste in Graz jahrelang niemand auf der Straße leben.“ Südtirol könne sich davon ein Beispiel nehmen, sagte er.