Von: luk
Bozen – Kinder haben ein Recht auf Gesundheit, Geborgenheit, auf Zeit, Aufmerksamkeit und Versorgung. Immer öfter werden diese Rechte mit Füßen getreten. Sexualisierte, körperliche und psychische Gewalt nehmen zu: Im Jahr 2017 haben sich die Beratungen in der Kinder- und Jugendanwaltschaft (Kija) im Vergleich zu 2016 mit 2.124 mehr als verdoppelt.
Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass acht Jahre nach ihrem Entstehen in der Kija eine dritte Fachperson angestellt werden konnte. Im Jahr zuvor wurden 965 Beratungen durchgeführt. Ein neuer Schwerpunkt war im Jahr 2017 die Ausbildung von freiwilligen Vormunden für nicht begleitete Minderjährige. Kinder- und Jugendanwältin Paula Maria Ladstätter hat ihren Jahresbericht 2017 vorgelegt.
Da ist der Jugendliche aus Ostafrika, der sich nach Südtirol durchgeschlagen hat und in einem Wohnheim lebt. Seine Eltern wurden ermordet, andere Angehörige gibt es nicht. Da ist die Mittelschülerin, die in der Klasse gemobbt wird, nicht mehr isst und das Schulgehen verweigert. Da ist die ältere Schwester, die – längst ausgezogen – mitbekommt, dass ihre kleinen Brüder daheim geschlagen und erniedrigt werden. Da ist die Mutter, deren 14-jährige Tochter ständig ausgeht und mit jungen Männern herumhängt. Da ist der Vater, dessen Söhne im Grundschulalter nach der Papa-Woche nicht mehr zu seiner getrennten Frau zurück wollen. Sie kommen mit ihrem neuen Partner nicht klar.
Kinder könnten über ihre freie Zeit nur mehr begrenzt verfügen, der Stress der Erwachsenen übertrage sich auf die jungen Leute, sagt Kinder- und Jugendanwältin Paula Maria Ladstätter. Leistungsdruck, elitäres Denken und Perfektionismus überfordere immer mehr Minderjährige. Das lasse keine Leerzeiten zu und verlangsame die Konzentrationsfähigkeit. Psychische und körperliche Belastungen der Eltern und anderer Familienangehöriger schlagen sich auf Kinder und Jugendliche nieder: „Sozialer und finanzieller Druck führen zu Reizarmut, schlechter Ernährung, Bildungsrückstand und Perspektivlosigkeit“, sagt Paula Maria Ladstätter.
Die soziale Not in Südtirol verändere sich, stellt die Kinder- und Jugendanwältin fest, aber sie werde nicht weniger: Mit 2.124 Beratungen am Telefon, bei persönlichen Treffen, per Mail, WhatsApp und Facebook haben sich diese in der Kija im Jahr 2017 im Vergleich zu 2016 mehr als verdoppelt. Haben die MitarbeiterInnen der Kija 2016 noch an 551 Akten gearbeitet, so waren es 2017 bereits 858. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass im vergangenen Jahr nach langem Drängen endlich eine weitere Vollzeitstelle eingerichtet wurde. Neben Paula Maria Ladstätter arbeiten dort jetzt Bianca Stelzer (Expertin im Rechts- und Gesetzgebungsbereich) und Massimiliano Santi (Experte im Verwaltungsbereich), außerdem die Verwaltungssachbearbeiterin Daniela Perucatti. Santi ersetzt Anna Graber, die sich in Elternzeit befindet.
Damit Lösungen zum Kindeswohl erarbeitet werden können, sei es unumgänglich, auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren und einen wertschätzenden Umgang zu pflegen, erklärt Paula Maria Ladstätter. Es gehe darum, die verschiedenen Kompetenzen und Sichtweisen der Anwesenden zu hören, zu respektieren und immer wieder die gegenwärtige schwierige Situation des oder der Minderjährigen in den Mittelpunkt zu rücken.
Besonders herausgefordert war die Kija im vergangenen Jahr mit der Organisation der Ausbildungen für freiwillige Vormunde für nicht begleitete Minderjährige. Insgesamt haben von Juli bis Dezember 99 Erwachsene Interesse an der Ausbildung zu freiwilligen Vormunden für nicht begleitete minderjährige Flüchtlinge bekundet. Die vier Basis- und drei Aufbaukurse fanden in deutscher und italienischer Sprache statt. Nach der jeweils 17-stündigen Ausbildung wurden im vergangenen Jahr 26 Privatpersonen in das Verzeichnis der freiwilligen Vormunde beim Jugendgericht Bozen eingetragen. Von diesen waren am 31. Dezember 2017 sieben mit einer Vormundschaft betraut.