Von: luk
Bozen – Die erste umfassende Klimarisikobewertung im Auftrag der EU-Kommission ist abgeschlossen – ein interdisziplinäres Forschungsteam von Eurac Research war daran maßgeblich beteiligt.
Europa erwärmt sich schneller als die anderen Kontinente, mit zum Teil schon katastrophalen Folgen: Die Hitzewelle im Sommer 2022 kostete über 60.000 Menschenleben, die Überflutungen nach extremen Niederschlägen in Deutschland und Belgien (2021), Slowenien (2023) und Griechenland (2023) forderten ebenfalls Tote und belasteten den europäischen Solidaritätsfonds bis an seine Grenzen, die lange Dürre von 2022 war in weiten Teilen Europas die schlimmste in 500 Jahren. Mit welchen möglichen Auswirkungen auf die Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft Europas künftig zu rechnen ist, legt jetzt die erste Klimarisikoanalyse der europäischen Umweltagentur im Auftrag der EU-Kommission dar. Die Diagnose, bei der ein Team von Eurac Research eine tragende Rolle spielte, beschreibt die drohenden Gefahren und die Faktoren, die uns verletzlicher machen. Die EU-Kommission hat damit ein Instrument an der Hand, das aufzeigt, wo dringend gehandelt werden muss, um Schaden zu begrenzen.
In der systematischen Analyse wurden 36 Klimarisiken mit potenziell schwerwiegenden Folgen für ganz Europa identifiziert, gegliedert in die Bereiche Ökosysteme, Nahrungssicherheit, Gesundheit, Infrastruktur und Ökonomie und Finanzen. In Bezug auf 20 Risiken sieht die Untersuchung Handlungsbedarf, für acht Risiken wird er als dringend eingestuft – dazu gehört bespielweise Hitzestress, die Zerstörung von Meeres- und Küstenökosystemen, und Überflutung.
Das Ausmaß der Risiken hängt dabei nicht nur von Klimafolgen wie Dürre, Hitze und Starkregen ab, wie der Report unterstreicht, sondern ganz entscheidend von nicht klimatisch bedingten Faktoren. „Die Überflutungen in der Emilia-Romagna waren ein deutliches Beispiel: Die Region ist stark bebaut und versiegelt, das erschwerte ein Versickern des Wassers, viele Infrastrukturen sind veraltet. Nicht-klimatische Faktoren wie übermäßiger Flächenverbrauch, nicht gewartete Infrastruktur, soziale Ungleichheit, Verschmutzung, schlechtes Wassermanagement, überlastete Gesundheitssysteme und vieles mehr können die Risiken stark erhöhen; was andererseits bedeutet, dass die richtigen Anpassungsmaßnahmen das Risiko bei gleichbleibender Gefahr erheblich verringern“, erklärt der Klimafolgenforscher Marc Zebisch, Leiter des Center for Climate Change and Transformation, der mit einem interdisziplinärem Team von Eurac Research an der Untersuchung maßgeblich beteiligt war.
Zebisch hat mit Forscherkollegen und -kolleginnen auch das Konzept der Risikobewertung entwickelt, das der Analyse zugrunde liegt (und in den vergangenen Jahren schon bei Klimarisikobewertungen in zahlreichen Ländern der Welt angewendet wurde): die Methode, sämtliche Wirkungen und Wechselwirkungen in ihrer Verkettung zu betrachten, um ein wirklich umfassendes Bild zu gewinnen. Am Anfang vieler Wirkungsketten stehen Klimawirkungen auf Ökosysteme, die durch menschliche Tätigkeiten bereits in ihrer Funktion beeinträchtigt sind, was die Klimawirkung wiederum verstärkt. Diese Effekte können sich dann kaskadenartig fortsetzen, bis sie ganze Gesellschaften betreffen, und auch auf andere Regionen oder Länder übergreifen. Beispiel Meeresökosysteme: Durch Verschmutzung und Überfischung ohnehin geschwächt, können sie durch die Klimaerwärmung so sehr leiden, dass die Fischerei stark beeinträchtigt ist oder sogar zusammenbricht – mit Folgen für Nahrungssicherheit, Arbeitsplätze, gesamte lokale oder regionale Wirtschaftssysteme. „Eine zentrale Botschaft des Reports ist deshalb: Schützen und pflegen wir die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme!“, sagt Zebisch, der mit einem Forschungsteam gerade eine vergleichbare Klimarisikoanalyse und Anpassungsstrategie für Südtirol ausarbeitet. Andere direkte Klimawirkungen, die zu Risikokaskaden von europäischer Bedeutung führen, sind Klimawirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf kritische Infrastruktur.