Von: luk
Bozen – „Das neue Vergabegesetz in Südtirol eröffnet sozialpolitische Möglichkeiten, die nicht ausreichend genutzt werden“, bringt es AFI-Präsidentin Christine Pichler auf den Punkt. Wie öffentliche Aufträge im Land bleiben können, Arbeitnehmer fair behandelt und die Beteiligten nicht mit Bürokratie und Kontrollen überhäuft werden – darüber diskutierte heute das AFI mit den besten Sachverständigen im Land.
Seit rund 1,5 Jahren hat Südtirol ein eigenes Gesetz für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Das Gesetz schafft den Rahmen, um Aufträge im Land zu vergeben, das hohe Niveau der Arbeitsbedingungen zu halten und die Abwicklung möglichst unbürokratisch zu gestalten. „Die Praxis sieht allerdings anders aus“, stellt AFI-Präsidentin Christine Pichler fest: „In den Büros der Gewerkschaften häufen sich die Streitfälle betreffend die Nicht-Anwendung von kollektivvertraglichen Bestimmungen sowie Klagen über verschlechterte Arbeitsbedingungen“. Das sei auch der Anstoß für das AFI | Arbeitsförderungsinstitut gewesen, zusammen mit hochrangigen Sachverständigen im Land eine Standortbestimmung vorzunehmen und Lösungswege aufzuzeigen.
Für AFI-Präsidentin Christine Pichler gelte es, deutlich zu machen, dass öffentliche Vergaben auch soziale Ziele zum Gegentand haben sollen, so wie es die EU-Richtlinie 2014/24 im Grundsatz festschreibt. „Wenn wir bedenken, dass 18Prozent der Wirtschaftsleistung in der Europäischen Union den Aufträgen der öffentlichen Hand zu verdanken ist, dann wird auch klar, dass öffentliche Vergaben mit sozialer Zielsetzung viel bewirken können und somit Teil der Sozialpolitik sind“, führt Pichler aus.
Der Direktor der Agentur für Öffentliche Vergaben AOV, Thomas Mathà, sieht das Vergabegesetz des Landes als Chance und vor allem als Gestaltungsspielraum. Die normativen Voraussetzungen seien weitgehend geschaffen, aber „in der Anwendung und in der konkreten Abwicklung der Ausschreibungen haben wir noch Nachholbedarf“, räumte der Chef der Agentur ein.
Rechtsanwalt Carlo Lanzinger bemängelte, dass Rechtsbestimmungen sich ständig ändern und zwischen EU, Staat und Autonomer Provinz aufwändig abgestimmt werden müssten. Er warnte vor falscher Effizienz: Was zuerst wie eine Einsparung aussehe, könne später für die öffentliche Hand teuer werden. Spätestens dann, wenn die vielen Working-Poor vom sozialen Netz aufgefangen werden müssten, werde klar, dass der soziale Schaden größer sein könne als die kurzfristigen Vorteile beim Sparen.
Der Bereichsleiter der Einheitlichen Vergabestelle Dienstleistungen und Lieferungen Gianluca Nettis durchleuchtete das Vergabegesetz des Landes in Bezug auf den Schutz der Arbeitnehmer. Angemessenheitsklauseln würden es erlauben, unverhältnismäßig niedrige Angebote auszuschließen. Diese Zuständigkeit dafür liege bei den Verantwortlichen des Verfahrens. Aufgabe der Vergabeagentur sei es, mit Vertragsentwürfen und Richtlinien unterstützend tätig zu werden, um Dumping zu verhindern.
Der Direktor des Arbeitsinspektorats Sieghard Flader bestätigte, dass die Prüfung der Angemessenheit der Angebote eine Herausforderung für Spezialisten sei. Das Arbeitsinspektorat habe jedoch weder die Aufgabe und schon gar nicht die Ressourcen, um die Angemessenheit flächendeckend zu prüfen.
Für die Kontrolle der Angemessenheit könnten die Unternehmen nicht in die Pflicht genommen werden, betonte Gert Lanz, Präsident des Wirtschaftsverbands Handwerk und Dienstleister lvh. „Die heimischen Unternehmen haben großes Interesse, bei öffentlichen Aufträgen mitzubieten und werden dabei auch die territorialen Vereinbarungen mit den Gewerkschaften einhalten, aber sie können neben der ohnehin überbordenden Bürokratie nicht auch noch Kontrolleure spielen“, so Lanz.
Der Vertreter der Gewerkschaften im AOV-Lenkungs- und Koordinierungsbeirat Michele Buonerba hob hervor, dass für arbeitsintensive Dienstleistungen die Provinz Bozen als einzige in Italien die Bedingung der Angemessenheit von Lohnkosten im Verhältnis zum gesamten Ausschreibungsbetrag eingeführt habe. Nun gelte es, die Anwendungsrichtlinie schleunigst zu genehmigen und vor allem bekannt zu machen.
Heini Grandi vom Genossenschaftsverband ‚Legacoopbund‘ berichtete, Sozialklauseln würden zu wenig angewendet, weil sie teils wenig bekannt, teils schwierig zu handhaben seien. So zum Beispiel hätten Sozialgenossenschaften oft in enger Kooperation mit dem öffentlichen Auftraggeber soziale Projekte entwickelt. Mangels Urheberschutz sei es aber vorgekommen, dass diese Modelle in einem zweiten Moment dem billigsten Anbieter zugeschlagen wurden. Die öffentliche Hand belohne also soziale Innovation nicht unbedingt, mahnte Grandi.