Von: luk
Bozen – Angesichts der erheblichen Spannungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten, die aufgrund des Krieges zwischen Russland und der Ukraine deutlich verschärft wurden, senkt das WIFO – Institut für Wirtschaftsforschung der Handelskammer Bozen die Wachstumsprognose des Südtiroler Bruttoinlandsproduktes für 2022. Unter der günstigen Annahme, dass die Kriegshandlungen im Frühjahr eingestellt werden, sollte die Südtiroler Wirtschaft heuer zwischen drei und vier Prozent wachsen.
Südtiroler Wirtschaft – Erholung im Jahr 2021, große Ungewissheit für 2022
Die Frühjahrsausgabe des Wirtschaftsbarometers des WIFO bestätigt die teilweise Erholung des Geschäftsklimas im Jahr 2021. Die im vergangenen Jahr erzielte Rentabilität wird von 83 Prozent der befragten Unternehmer und Unternehmerinnen zumindest als „befriedigend“ bezeichnet und etwa ein Drittel von ihnen bewertet sie sogar als „gut“. Die Steigerung des Geschäftsklimas ging Hand in Hand mit der allmählichen Verbesserung der Pandemielage und der Rückkehr zur Normalität, die durch den guten Verlauf der Impfkampagne ermöglicht wurden. Das Nachfragewachstum spiegelt sich in der positiven Umsatzdynamik auf allen Märkten wider, sodass über die Hälfte der Unternehmen 2021 ein steigendes Geschäftsvolumen verzeichneten. In der Folge nahmen auch die Investitionen wieder zu, wenn auch nur verhalten. Seit der zweiten Jahreshälfte haben sich aber Engpässe in den Versorgungsketten verschiedener Rohstoffe, Materialien und Halbfertigprodukte ergeben, die vor allem das verarbeitende Gewerbe und den Bausektor betrafen. Dies führte zu Lieferverzögerungen, höheren Produktionskosten und folglich zu steigenden Verkaufspreisen. Die Lage wurde durch die starke Zunahme der Energiekosten noch verschärft. Insgesamt beklagen fast 60 Prozent der Südtiroler Unternehmen eine Steigerung ihrer Betriebskosten im Jahr 2021.
Weitere Schwierigkeiten bereitete die erneute Zunahme von Covid-Infektionen ab Jahresende, die auf die Verbreitung der Omikron-Variante zurückzuführen war. Obwohl die Auswirkungen auf die Wirtschaft weitaus geringer waren als bei früheren Pandemiewellen, gab es dennoch negative Folgen auf den Tourismus und auf das Tagesgeschäft der vor allem kleineren Unternehmen, da viele Arbeitnehmer/innen von Quarantänemaßnahmen betroffen waren. Das aktuelle Szenario ist dementsprechend von großer Unsicherheit geprägt, so dass 15 Prozent der befragten Unternehmer/innen keine Prognose über die Ertragslage für das Jahr 2022 abgeben konnten. Unter denjenigen, die eine Einschätzung abgaben, herrschte jedoch Optimismus vor: 88 Prozent gingen von einer zufriedenstellenden Ertragslage im laufenden Jahr aus. Die Umsätze dürften demnach weiterhin wachsen, aufgrund der steigenden Nachfrage, aber auch aufgrund der Erhöhung der Verkaufspreise. Letztere ist notwendig, um den Kostenanstieg zumindest teilweise auszugleichen. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Erhebung vor dem Beginn der Kampfhandlungen in der Ukraine abgeschlossen wurde. Die daraus resultierenden Teuerungen von Energie, Gas und Treibstoffe werden sich stark negativ auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken.
Internationale Wirtschaft
Im Jahr 2021 erlebte die Weltwirtschaft einen Aufschwung, wenn auch mit erheblichen Unterschieden in Bezug auf den Zeitpunkt und den Verlauf in den verschiedenen Regionen der Welt, was auch auf die Saisonalität der Pandemiewellen zurückzuführen ist. Die jüngsten Schätzungen des Internationalen Währungsfonds zeigen, dass das globale BIP im Jahr 2021 um 5,9 Prozent gestiegen ist, wobei die Vereinigten Staaten mit +5,6 Prozent einen deutlichen Zuwachs verzeichneten und die großen asiatischen Volkswirtschaften wie Indien (+9,0 Prozent) und China (+8,1 Prozent) besonders stark stiegen. Nach Angaben der Europäischen Kommission war das Wachstum in der Eurozone mit 5,3 Prozent etwas geringer.
Für das Jahr 2022 wird eine allgemeine Konjunkturabschwächung erwartet. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der Erholungseffekt nachlässt, wenn Industrieproduktion und Handel wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Zweitens spielen der Mangel und die Verteuerung von Rohstoffen und Halbfertigprodukten und vor allem der massive Anstieg der Energiekosten, der ebenfalls eine starke Inflation verursacht, weiterhin eine negative Rolle. Dieser Trend wird derzeit durch den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und die von der NATO und der EU verhängten wirtschaftlichen Sanktionen gegen Moskau noch verschärft. Nach ersten Einschätzungen der Europäischen Zentralbank werden die Folgen des Konflikts das BIP-Wachstum der Eurozone um 0,3 bis 1,0 Prozentpunkte verringern. Wenn man diesen Effekt in die jüngsten Prognosen einbezieht, würde das Wachstum im Euroraum voraussichtlich bei etwa 3,0 bis 3,7 Prozent liegen.
Italienische Wirtschaft
Die italienische Wirtschaft erlitt 2020 einen besonders starken Absturz aufgrund der heftigen Auswirkungen der ersten Pandemiewelle, dementsprechend lag der Aufschwung im Jahr 2021 über dem Durchschnitt der Eurozone. Nach Angaben des ISTAT wuchs das italienische BIP im vergangenen Jahr um 6,6 Prozent. Ab dem Frühjahr ermöglichte die schrittweise Aufhebung der Einschränkungen der Wirtschaftstätigkeiten und der Mobilität eine kräftige Erholung. Allerdings schwächte sich das Wachstum gegen Ende des Jahres ab, aufgrund der erwähnten Versorgungsengpässe, des Preisanstiegs im Energiebereich und der erneuten Zunahme der Corona-Infektionen. Derzeit verschärft der russisch-ukrainische Krieg den Druck auf die Energie- und Rohstoffpreise, was sich negativ auf die Konsumausgaben der Familien und die Produktionskosten der Unternehmen auswirken wird. Trotz dieser negativen Aspekte wird aber erwartet, dass die italienische Wirtschaft im Jahr 2022 ihren Wachstumspfad fortsetzen wird.
Bruttoinlandsprodukt in Südtirol
Für das Jahr 2021 bestätigt das WIFO seine Schätzung einer Zunahme des Südtiroler BIP um 5,5 Prozent. Für das laufende Jahr hingegen wird die Wachstumsprognose angesichts der erheblichen Spannungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten, verschärft durch den russisch-ukrainischen Krieg, nach unten revidiert. Unter der günstigen Annahme, dass die Kriegshandlungen im Frühjahr eingestellt werden, sollte die Südtiroler Wirtschaft heuer zwischen +3,0 und +4,0 Prozent wachsen.
Der Präsident der Handelskammer Bozen, Michl Ebner, betont: „Unsere Unternehmen befinden sich in einer paradoxen Situation. Einerseits gibt es eine gute Nachfrage, andererseits fehlen in vielen Branchen Rohstoffe oder Arbeitskräfte, um Aufträge zu erfüllen. Hinzu kommen die stark gestiegenen Treibstoff- und Energiepreise, die durch den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine noch verschärft werden. Dementsprechend sind wirtschaftspolitische Maßnahmen erforderlich, um die Fortsetzung des Aufschwungs zu gewährleisten.“