Von: mk
Bozen – Im Frühjahr 2024 ist die Stimmung unter Südtirols Arbeitnehmern gerade noch positiv – vor zwölf Monaten war sie allerdings zehn Indexpunkte besser. „Allgemein erkennt man derzeit eine ausgeprägte abwartende Haltung“, kommentiert AFI-Direktor Stefan Perini. Die Kernindikatoren der Südtiroler Wirtschaft – Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Inflation, touristische Nächtigungen – sind solide, sieht man vom Ban-kensektor ab, wo das eingeräumte Kreditvolumen im Januar 2024 regelrecht eingebrochen ist (-4,7 Prozent im Zwölfmonatsvergleich). „Ein Umstand, der im öffentlichen Diskus eindeutig unterbelichtet ist“, merkt Perini an. „Man sollte sich nämlich vor Augen führen, dass die Bruttoanlageinvestitionen knapp 30 Prozent der volkswirtschaftlichen Nachfrage bestimmen.“ Viel wird 2024 vom Ausgang der EU-Wahlen im Juni und von den US-Wahlen im November abhängen. 2024 wird im Guten oder Schlechten ein Schicksalsjahr.
Im Lichte von Corona-Pandemie, Energiepreisschock und Ukrainekrieg haben die G20-Staaten in den letzten Jahren eine hohe Widerstandsfähigkeit bewiesen. Die Inflation hat sich 2023 schneller zurück-gebildet als erwartet. Die Aktienmärke erlebten einen Höhenflug. Im deutschsprachigen Ausland stützte vor allem der Privatkonsum die Konjunktur dank signifikanter Lohnerhöhungen. Die Investitionstä-tigkeit der Unternehmen blieb im Gegenzug kraftlos. Die die seit vielen Monaten ersehnte Zinswende der EZB rückt in greifbare Nähe – sie wird für Juni erwartet. Das Hauptproblem sind derzeitig die zu-nehmenden geopolitischen Spannungen auf internationaler Ebene: Parallel zum Ukraine-Krieg hat sich jüngst der Nahostkonflikt dramatisch verschärft. 2024 stehen wichtige Wahltermine in der Europäi-schen Union und in den USA an. Von deren Ausgang hängt ab, wie die politischen Weichen für die Zu-kunft gestellt werden. In seinem April-Gutachten weist der IWF folgende Wachstumsprognosen für 2024 aus: Euro-Raum: +0,8 Prozent; Deutschland: +0,2 Prozent; Österreich: +0,4 Prozent; Italien: +0,7 Prozent.
Endbilanz 2023: Zufriedenstellend, mit einigen Macken
Mit April sind nun auch alle wichtigen Kernindikatoren für 2023 verfügbar. Die Endbilanz 2023 für Südtirols Wirtschaft kann sich sehen lassen: Die Zahl der lohnabhängig Beschäftigten ist gegenüber 2022 weiter angestiegen (+2,2 Prozent im Jahresschnitt) und erreichte einen neuen historischen Höchststand (226.420 im Jahresmittel). Die Arbeitslosenrate blieb mit 2,0 Prozent auf äußerst niedri-gem Niveau. Das Außenhandelsgeschäft konnte trotz der schwachen Konjunkturimpulse aus dem Aus-land leicht expandieren (Exporte: +3,3 Prozent, Importe: +3,5 Prozent). Die touristischen Nächtigun-gen haben einmal mehr stark zugelegt (+5,0 Prozent zu 2022). Die Inflation bildete sich im Jahresver-lauf schnell und stark zurück und bringt sich im Jahresschnitt auf 5,9 Prozent. Fernab vom Jahreswert (+0,6 Prozent) ist die Entwicklung am Kreditmarkt als problematisch zu werten. Das in Südtirol ein-geräumte Kreditvolumen ist in der zweiten Jahreshälfte regelrecht eingebrochen, was in erster Linie auf die geringere Investitionstätigkeit der größeren Unternehmen zurückzuführen ist (-7,5 Prozent).
Die Stimmung: Optimistisch, aber nicht allzu sehr
Die Stimmung unter Südtirols Arbeitnehmern bleibt verhalten positiv. Mit Blick auf die nächsten 12 Monate erwarten Südtirols Arbeitnehmer mehrheitlich eine positive Entwicklung der Südtiroler Wirt-schaft (Indexwert: +6 auf einer Skala zwischen -100 und +100). Die Arbeitslosenzahlen dürften kon-stant bleiben. Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, wird nach wie vor mit „moderat“ be-wertet. Die Perspektiven, im Bedarfsfall einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden, bleiben positiv. „Hier scheint jedoch die Euphorie des letzten Jahres verflogen zu sein“, präzisiert AFI-Forscherin Maria Elena Iarossi. Trotz rückläufiger Inflation tun sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin schwer, mit ihrem Einkommen über die Runden zu kommen (Indexwert: -10). Trotzdem nimmt wie-der eine knappe Mehrheit (56 Prozent) an, in den nächsten zwölf Monaten etwas Geld ansparen zu können – die anderen 44 Prozent gehen davon aus, dass dies nicht möglich sein wird.
Die Prognose: Im Jahr 2024 nur mehr +0,5 Prozent BIP-Wachstum für Südtirols Wirtschaft
Das konjunkturelle internationale Umfeld präsentiert sich für Südtirols Wirtschaft im Jahr 2024 relativ schwach. Deutschland gilt als der kranke Mann Europas. In Italien fallen die Wachstumsimpulse des Superbonus 110% weg – sie werden auch bei weitem nicht von den PNRR-Projekten kompensiert werden können. Das Thema der Staatsverschuldung und der Finanzierbarkeit von öffentlicher Infra-struktur rückt europaweit wieder in den Vordergrund. Die Stimmung bei Südtirols Arbeitnehmern mit Blick auf die nächsten zwölf Monate ist nur verhalten positiv. Im Allgemeinen beobachtet man derzeit eine ausgeprägte „Abwarte-Haltung“. Angesichts des ungünstigeren konjunkturellen Umfelds senkt das AFI seine BIP-Prognose für die Südtiroler Wirtschaft im Jahr 2024 auf +0,5 Prozent.
„Die steigenden Preise für Güter des täglichen Bedarfs und Mieten stehen im krassen Gegensatz zum Stillstand bei den Löhnen, auch hier in Südtirol. Der Streik in der Großverteilung am 26. April zielt darauf ab, diese unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu ändern und für gerechte Löhne zu kämpfen“, erklärt AFI-Vizepräsidentin Cristina Masera.
Landesrätin Magdalena Amhof meint: „Die knappe Ressource in Zukunft wird der Faktor Mensch sein. Unternehmen müssen verstehen, dass die besten Mitarbeitenden entscheidend für ihren Erfolg sind. Die flächendeckende Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Südtirol ist daher unerlässlich, um im Fachkräftewettbewerb mithalten zu können.“