Von: ao
Bozen – Südtirols Arbeitnehmer bleiben ihren Arbeitgebern treu, obwohl es selten so leicht war, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Nur 15 Prozent der im AFI-Barometer befragten Arbeitnehmer geben an, sich in den letzten zwölf Monaten aktiv um einen anderen Job bemüht zu haben. „Diese Loyalität verdient es, belohnt zu werden – zumal bei den steigenden Lebenshaltungskosten“, unterstreicht AFI-Präsidentin Christine Pichler. Wie steht es mit den Aussichten? „Mit einem Wachstum von voraussichtlich +2,0 Prozent wird 2017 als eines der besten Wirtschaftsjahre der letzten zwei Jahrzehnte abschließen“, rechnet AFI-Direktor Stefan Perini vor. Ein Erfolgsjahr für Unternehmer also, dem 2018 ein Erfolgsjahr für Arbeitnehmerlöhne folgen möge, wünschen sich Gewerkschaften und Sozialverbände.
Der internationale wirtschaftliche Aufschwung hält an. Der WES (World Economic Survey)-Frühindikator hat inzwischen den Höchstwert seit 2011 erreicht. 2017 ist durch die gute Performance und niedrige Volatilität an den internationalen Börsen geprägt. Zwar haben sich parallel die geopolitischen Risiken ein weiters Mal verstärkt (Nordkorea-Krise, militärische Konflikte im Nahen Osten, schleppende Koalitionsverhandlungen in Deutschland, politische Unsicherheit in Italien), aber die Weltwirtschaft bleibt davon aktuell relativ unbeeindruckt. Die italienische Wirtschaft setzt ihren Erholungskurs fort. Sehr gut ist die Stimmung bei den Unternehmern, gut bei den Konsumenten. Für 2017 rechnet der IWF (Internationale Währungsfond) mit folgenden Wirtschaftswachstumsraten: USA +2,7 Prozent, Euro-Raum +2,2 Prozent, Deutschland +2,3 und Italien +1,4 Prozent. Für Österreich rechnet die Europäische Kommission mit +2,4 Prozent.
Südtirol: 2017 ein Top-Jahr
2017 wird in die Südtiroler Wirtschaftsgeschichte als eines der besten der letzten beiden Jahrzehnte eingehen, sofern das ISTAT die vom AFI prognostizierte BIP-Wachstumsrate von +2,0 Prozent bestätigt. Nur sieben Mal hat Südtirols Wirtschaft seit 1998 ein BIP-Wachstum von zwei Prozent oder mehr erzielt. Die vorläufigen Ergebnisse zur wirtschaftlichen Dynamik von 2017 stimmen jedenfalls zuversichtlich: Exporte: +7,2 Prozent, Importe: +8,7 Prozent, touristische Nächtigungen: +3,1 Prozent, amtliche Arbeitslosenrate: 3,5 Prozent. Mit +3,3 Prozent ist der Zuwachs an unselbständig Beschäftigen der höchste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1998.
Suche nach gleichwertigem Job so leicht wie nie
Die Stimmung bei den Südtiroler Arbeitnehmern hellt sich weiter auf: Im Verlauf von 12 Monaten haben sich 4 von 7 Indikatoren positiv entwickelt, einer sogar recht deutlich. Es handelt sich um die wahrgenommene „Schwierigkeit, einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden“. Noch nie sei es für Arbeitnehmer so leicht gewesen, einen neuen, gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden wie jetzt und trotzdem zeigten sich Südtirols Arbeitnehmer äußerst verbunden mit ihrem Arbeitgeber: „Nur 15 Prozent haben sich in den letzten zwölf Monaten aktiv um einen anderen Job umgesehen“, berichtet Perini.
Lage besser als Stimmung
Während die Eckdaten eine durchaus positive Wirtschaftslage anzeigen und sich die Stimmung bei den Arbeitgebern deutlich aufgehellt hat, will jene der Arbeitnehmer nicht so wirklich anspringen. Der Anteil an Unternehmen mit zufriedenstellender bis guter Ertraglage hat sich von 2013 (69 Prozent) auf 2018 (95 Prozent) schrittweise erhöht. Im selben Zeitraum blieben bei den Arbeitnehmern die Erwartungen über die Entwicklung der finanziellen Situation der eigenen Familie weitgehend unverändert. „Nach wie vor haben also Arbeitnehmer das Gefühl, der wirtschaftliche Aufschwung gehe an ihnen vorbei“, so Perini.
Südtirol immer teurer
Dass Bozen zu den teuersten Städte Italiens zählt, ist keine Neuigkeit. Hinzu kommt, dass die Preise in Bozen aktuell deutlich stärker ansteigen als anderswo. In Bozen betrug die Inflationsrate im Jahresschnitt 2017 genau 2,2 Prozent, in Gesamtitalien lag sie bei 1,3 Prozent. Somit steigt das Gefälle in den Lebenshaltungskosten zwischen der Provinz Bozen und anderen italienischen Regionen ein weiteres Mal an. „Das vom AFI für 2017 auf Grundlage einer Studie der Banca d’Italia berechnete Differential beträgt nun 22 Prozent. Mit anderen Worten: Die Lebenshaltugskosten liegen in Südtirol im Schnitt 22 Prozent über dem gesamtstaatlichen Schnitt“, rechnet AFI-Direktor Perini vor.
Sparen: Mehr Schulung in Finanzangelegenheiten notwendig
Südtiroler bevorzugen nach wie vor traditionelle Sparformen wie Kontokorrent, Sparbuch oder Obligationen. Doch in Zeiten wie diesen ist es kein Leichtes, Erspartes wertbeständig anzulegen. Dabei ist für die befragten Arbeitnehmer im AFI-Barometer gerade die Sicherheit und Wertbeständigkeit das Wichtigste bei Spar-Entscheidungen (72 Prozent), gefolgt von der Liquidität (57 Prozent) und der langfristigen Rendite (51 Prozent). Relativ wenig interessiert die kurzfristige Rendite (13 Prozent). Der vorwiegende Spargrund ändert sich im Lebensverlauf: Im jungen Alter ist es die Wohnung, dann sind es die Kinder, schließlich die Vorsorge für das Alter. Die Vorsorge für unvorhergesehene Ereignisse steht hingegen altersunabhängig hoch im Kurs. Eine „italienische Auffälligkeit“ im europäischen Vergleich ist, dass der Bildungsgrad in Finanzangelegenheiten in Italien stark unterdurchschnittlich ist. Aus der Fachliteratur ist bekannt, dass 30 bis 40 Prozent der Vermögensungleichheit aus den Bildungsunterschieden in finanziellen Belangen zu erklären ist. „Soziale Gerechtigkeit erreicht man also nicht nur über Sozialtransfers, sondern auch mit der Vermittlung von Wissen, wie man Erspartes vernünftig anlegt“, folgert AFI-Forschungsmitarbeiter Friedl Brancalion. Neben einem stärkeren Anlegerschutz und der Vermittlung von Finanzwissen in den Schulen brauche es eine gezielte Beratung vor einschneidenden Investitionsentscheidungen, die Schulung der Frauen, welche traditionell die „Managerinnen der Alltagsgeschäfte“ sind, und die Wissensvermittlung durch das Fernsehen.