AFI-Barometer

Südtirols Wirtschaft zeigt hohe Widerstandsfähigkeit

Mittwoch, 21. Oktober 2020 | 11:22 Uhr

Von: luk

Bozen – Nach dem abrupten Einbruch im Frühjahr verbessert sich die Stimmung bei Südtirols Arbeitnehmern ein zweites Mal in Folge. Mit Ausnahme einzelner Bereiche (allen voran Beherbergung und Gastronomie) zeigt sich die Südtiroler Wirtschaft relativ standfest – wesentlich für diese Entwicklung war die starke präventive Abfederung durch die öffentliche Hand. 2020 erlebe die Südtiroler Wirtschaft „einen starken Einbruch, aber keine wirtschaftliche Katastrophe“, kommt AFI-Direktor Stefan Perini zum Schluss. Auf eine BIP-Entwicklung von real -6,5 Prozent im Jahr 2020 folgt +5,6 Prozent im Jahr 2021.

Nach dem generellen Lockdown im Frühjahr 2020 hat die europäische Wirtschaft in den Sommermonaten deutlich Fahrt aufgenommen. Die Erholung war rasch, aber unvollständig. Das Vorkrisen-Niveau ist noch nicht erreicht. Aufgrund wieder ansteigenden Infektionszahlen bahnt sich nun ein schwieriges viertes Quartal 2020 an. Von der Form her gleicht der konjunkturelle Verlauf weniger einem „V“, sondern mehr einer „gespiegelten Wurzel“. AFI-Direktor Stefan Perini bildlich: „Die europäische Wirtschaft ist mit dem Aufzug in den Keller gefahren und fährt jetzt mit der Rolltreppe langsam wieder hoch“.

In der vor wenigen Tagen veröffentlichten ifo-Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2020 weist der Sachverständigenrat für das laufende Jahr folgende BIP-Veränderungsraten aus: Euro-Raum: -7,4 Prozent; Deutschland: -5,8 Prozent; Österreich: -6,8 Prozent; Italien: -9,1 Prozent. Mit Abflachen der Pandemie wird ein guter Teil der im Vergleich zu 2019 verlorenen Wirtschaftsleistung im nächsten Jahr aufgeholt werden können. Hier die prognostizierten Wachstumsraten 2021: Euro-Raum: +5,6 Prozent; Deutschland: +4,6 Prozent; Österreich: +4,6 Prozent; Italien: +6,4 Prozent.

DIE BESTÄTIGUNG: Stimmungstief überwunden

Die wichtigste Kenngröße sind die Erwartungen der Arbeitnehmer bezüglich der zukünftigen Wirtschaftsentwicklung in Südtirol. Dieser Indikator hellt sich von niedrigem Niveau aus ein zweites Mal in Folge auf. Die interviewten Arbeitnehmer erwarten weder ein rasantes Ansteigen der Arbeitslosenzahlen, noch empfinden sie den eigenen Arbeitsplatz als gefährdet oder sehen akute Probleme bei der Suche nach einem gleichwertigen Arbeitsplatz. Das aktuelle Wiederaufflackern der Infektionswelle könnte allerdings die wirtschaftliche Erholung gefährden und damit auch die Stimmung der Arbeitnehmer wieder eintrüben.

DIE ÜBERRASCHUNG: Mit dem Geld kommt man leichter bis ans Monatsende

Die Einschätzungen der Arbeitnehmer bezüglich der Fähigkeit, mit dem eigenen Lohn über die Runden zu kommen, sind seit einigen Quartalen im Ansteigen begriffen – und das in Covid-19-Zeiten! Dazu Perini: „Aktuell sind die Möglichkeiten für Konsum und Freizeitgestaltung eingeschränkt. Es wird mehr gespart.“ Aber Achtung – warnt das AFI gleichzeitig – die Situation sei heute gesamtgesellschaftlich betrachtet deswegen nicht besser als vor Corona. „In unserer Umfrage werden nur Personen befragt, die aktuell in einem lohnabhängigen Arbeitsverhältnis stehen. Sie schließt also nicht diejenigen mit ein, die nach Auslaufen des Arbeitsvertrags nicht mehr angestellt wurden oder die in Erwartung einer neuen Anstellungsmöglichkeit sind“.

DIE ERKENNTNIS: Südtirols Wirtschaft zeigt Widerstandskraft

Die mittlerweile verfügbaren Eckzahlen bilden bereits einen guten Teil des laufenden Jahres – und somit der Auswirkungen der Covid-19-Krise – ab. Die Abfederungsmaßnahmen von Staat und Land stützen die Situation am Arbeitsmarkt wesentlich. Katastrophal ist die Entwicklung in der Beherbergung (-31,6 Prozent an touristischen Nächtigungen im Zeitraum Januar-August), negativ die Halbjahresbilanz im Außenhandel (Exporte: -8,4 Prozent; Importe: -15,5 Prozent). Der Kreditmarkt zeigt sich solide. Die Inflation bleibt niedrig. Leidtragende der Krise sind insbesondere die befristet Beschäftigten, andere prekäre Arbeitsformen, Geringverdiener und Teilzeitkräfte. „Das Risiko, dass wir auf einen zweigeteilten Arbeitsmarkt zusteuern, ist konkret“, sagt Perini. „Und doch hat die Südtiroler Wirtschaft gezeigt, wie schnell sie sich erholen kann, sind einmal die Infektionszahlen im Sinken. Auf ein normales erstes Quartal, ein horrendes zweites und ein gutes drittes Quartal folgt nun ein schwieriges viertes“.

DIE PERSPEKTIVE: Südtiroler BIP-Entwicklung: 2020 -6,5 Prozent; 2021 +5,6 Prozent

Für 2020 prognostiziert das AFI für Südtirol ein Einknicken des BIP in der Größenordnung von -6,5 Prozent. Die AFI-Prognose ist optimistischer als vergleichbare von ASTAT oder WIFO. Für Südtirol sind 2020 sowohl konjunkturstützende als auch konjunkturdämpfende Faktoren erkennbar. Der AFI-Prognose ist unterstellt, dass es in den nächsten Monaten zu keinem generellen Lockdown, sondern höchstens zu punktuellen Interventionen zur Eindämmung von Gefahrenherden kommt. Das Nächtigungsminus beschränkt sich auf Jahresbasis auf -33 Prozent. Kündigungsverbot und Lohnausgleichskasse stellen sicher, dass der Arbeitsmarkt bis Jahresende keine nennenswerten Einbrüche erfährt. Es wird damit gerechnet, dass das vierte Quartal zwar schwach ausfällt, aber nicht katastrophal wie das zweite. Für 2021 bleibt das AFI vorsichtig und rechnet damit, dass Südtiroler Wirtschaft 80 Prozent der im Vergleich zum Jahr 2019 verlorenen Wirtschaftsleistung wieder eingeholt hat. Das führt rechnerisch zu einer Wachstumsprognose für 2021 von +5,6 Prozent.

Stellungnahme von AFI-Vizepräsidentin Monica Murari

„Respekt und Wertschätzung all den Personen gegenüber, die seit Ausbruch der Pandemie in den öffentlichen Einrichtungen, in den Steuerbeihilfszentren und in den Patronaten unter erschwerten Arbeitsbedingungen Großes leisten, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.“

Stellungnahme von Landesrat Philipp Achammer

„Infolge des Lockdowns hat die Wirtschaftsleistung Südtirols im zweiten Quartal dieses Jahres erwartungsgemäß stark abgenommen. Unsere Unternehmen haben sich größtenteils aktiv und innovativ dagegengestemmt und auf die neuen Anforderungen reagiert. Kurzfristig wurden Produktionsprozesse umgestellt und optimiert, neue Produktlinien sowie Dienstleistungen marktfähig gemacht. Damit konnten größere Einbußen abgewendet werden. Nach einem guten dritten Quartal gehen wir nun davon aus, dass der positive Trend anhält. Fest steht, eine lange Infektionswelle können wir uns sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich nicht mehr leisten. Es geht darum, Einschnitte im persönlichen Leben zu machen, um in den kommenden Monaten Bildung, Arbeit und Wirtschaft aufrechtzuerhalten.“

Bezirk: Bozen