Von: luk
Bozen – In Südtirol nimmt sich statistisch betrachtet jede Woche eine Person das Leben, täglich finden ein bis drei Suizidversuche statt. Um dieser traurigen Bilanz entgegenzuwirken, wurde vor einem Jahr ein südtirolweites Netzwerk zur Suizidprävention ins Leben gerufen. Dieses lud am heutigen Donnerstagvormittag zu einer Netzwerktagung ins Bozner Pastoralzentrum ein. Ziel war und ist es, über verschiedene notwendige Maßnahmen und Angebote zu diskutieren, die noch fehlen oder weiter ausgebaut werden sollten, um die seelische Gesundheit in Südtirol spürbar zu fördern.
„Wir haben im vergangenen Jahr im Rahmen verschiedener Caritas Dienste das Thema ,Suizid‘ in den Mittelpunkt gestellt und dabei viel Resonanz erfahren. Gleichzeitig haben dann auch andere die Initiative ergriffen und das Tabu-Thema öffentlich bearbeitet. Daraus ist die Idee entstanden, gemeinsam ein Netzwerk zur Suizidprävention zu bilden“, sagt Guido Osthoff, Bereichsleiter der Caritas und Koordinator des Netzwerkes. „Nach mehreren Austauschtreffen ist schließlich die Idee für diese Tagung entstanden.“
„Im Vorfeld der Tagung wurde bereits einiges an Vorarbeit geleistet: So wurden zuerst die verschiedenen, bereits existierenden Maßnahmen und Dienste für gefährdete Menschen gesammelt. Darüber hinaus wurde eine Umfrage unter den Netzwerkpartnern, aber auch anderen an dem Thema interessierten Institutionen und Organisationen durchgeführt“, ergänzt die zweite Moderatorin der Tagung Sabine Cagol von der EAAD – EOS Genossenschaft und Leiterin der Fachambulanz für psychosoziale Gesundheit im Kindes- und Jugendalter in Bruneck. Die Ergebnisse dieser beiden Vorarbeiten stellte das Netzwerk nun im Rahmen der Tagung vor: Demnach sehen viele der über 380 Umfrageteilnehmer in Südtirol noch Nachholbedarf in Bezug darauf, betroffene oder gefährdete Menschen besser zu schützen und die bestehenden Dienste noch sichtbarer zu machen. Im Bereich der Prävention werden vor allem mehr Krisen- und Lebenskompetenz bei den Jugendlichen angemahnt sowie die gezielte Schulung von besonderen Berufsgruppen wie Hausärzten, Apothekern, Lehrern oder Ordnungskräften, also die Vermittlung von „seelischen Erste-Hilfe“-Kenntnissen.
Roger Pycha, Primar des psychiatrischen Dienstes am Krankenhaus Bruneck, wertete die Ergebnisse aus. „Es ist bezeichnend, dass nur 10 Prozent der Umfrageteilnehmer die aktuelle Suizidprävention in Südtirol für ausreichend halten. Vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen, aber auch Personen, die in Einsamkeit leben oder einen familiären Verlust erlitten haben, werden zurecht von bis zu zwei Dritteln der Mitmachenden als besonders gefährdet eingestuft. In den Schulen wird zwar bereits viel Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit geleistet und konstant weiterentwickelt. Allerdings müssen wir zweifellos dringend verschiedene lebensrettende Interventionen in der allgemeinen Bevölkerung verankern, die in psychischen Notfällen ähnlich wie bei körperlicher Erste-Hilfe angewandt werden sollten“, sagt Roger Pycha.
Bei der Tagung wurde die Notwendigkeit von verstärkten Anstrengungen in Südtirol deutlich. Die zahlreichen Tagungsteilnehmer setzten sich im Anschluss in Gruppenarbeiten mit verschiedenen Themen rund um den „Suizid“ auseinander, immer mit dem Ziel, konkreten Handlungsbedarf und neue Ansätze für die Prävention von Suizid zu erarbeiten. „Wir sind sehr zufrieden mit den Tagungsergebnissen. Nach der Tagung und der Entstehung des Netzwerks wird es nun wichtig sein, an einem von allen mitgetragenen Konzept zu arbeiten, das Maßnahmen in der Prävention und Behandlung vorsieht, die bekannt und zugänglich sind. Von den politisch Verantwortlichen erwarte ich mir die dafür notwendige inhaltliche und finanzielle Unterstützung“, ergänzt Peter Koler, Direktor des Forum Prävention und Teil des Netzwerks Suizidprävention.
„Unser Ziel ist es daher nun, das Netzwerk weiter zu entwickeln und konkrete Schritte für mehr Suizidprävention in die Wege zu leiten. Denn jeder Suizidtote bzw. Suizidgefährdete ist einer zuviel. Die Arbeit unseres Netzwerks hat daher erst begonnen“, schließen Sabine Cagol und Guido Osthoff das Tagungsprogramm ab.
Das Netzwerk Suizidprävention setzt sich derzeit aus mehr als 20 verschiedenen gemeinnützigen Organisationen und öffentlichen Einrichtungen zusammen. Koordiniert wird das Netzwerk von der Caritas, der EAAD-EOS Genossenschaft, dem Forum Prävention, Telefono Amico und von Vertretern der psychiatrischen und psychologischen Dienste, der Notfallseelsorge sowie der Deutschen Bildungsdirektion der Autonomen Provinz Bozen.