AFI-Barometer

“Verschnaufpause” für Südtirols Arbeitnehmer

Donnerstag, 20. Juli 2023 | 11:01 Uhr

Von: luk

Bozen – Die Wirtschaft in der Eurozone dürfte im Jahr 2023 nur moderat wachsen (+0,6 Prozent), wenngleich sich die Situation in Deutschland etwas schwieriger darstellt. Die Inflation wird sich im Jahresverlauf weiter zurückbilden, während man bei den Zinsen erst im Herbst mit einer eventuellen Trendwende rechnet. Mit Blick auf die nächsten zwölf Monate erwarten die vom AFI befragten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit deutlicher Mehrheit eine positive Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft. „Die Verbesserung fast aller Stimmungsindikatoren bei den Arbeitnehmern lässt verschiedene Interpretationen zu. Unter anderem auch jene, dass man nach so vielen schwierigen Monaten – sprich Corona, Energiekrise, Ukraine-Krieg,– wieder das Licht am Ende des Tunnels sieht“, merkt AFI-Direktor Stefan Perini an. „Südtirols Arbeitnehmer schnaufen kurz durch“.

“Im Euroraum flaut die Inflation zwar langsam ab – doch die Konjunktur lahmt noch. Die Problematik der Lieferengpässe, welche die letzten drei Jahre maßgeblich geprägt hatte, scheint inzwischen überwunden. Die Geldpolitik bleibt restriktiv ausgerichtet, sowohl in den USA als auch in Europa. Es ist zu erwarten, dass die Kreditzinsen in den nächsten Monaten noch etwas ansteigen werden und die Trendwerde in der Zinspolitik, wenn überhaupt, erst im Herbst kommt. Die Nachfrage nach Investitionsgütern hat im Euroraum jüngst merklich nachgelassen”, so das AFI. Trotz des markanten Anstiegs der Zinsen zeigen sich Banken- und Finanzsystem in Europa erstaunlich stabil. Das ifo-Institut München rechnet in seiner Sommerprognose für 2023 mit folgenden Wirtschaftswachstumsraten: Euroraum: +0,6 Prozent; Deutschland: -0,4 Prozent; Italien: +1,2 Prozent. Als Jahresdurchschnittsinflationsraten werden 2023 folgende zugrunde gelegt: Euroraum: +5,4 Prozent; Deutschland: +5,5 Prozent; Italien: +6,4 Prozent.

ZWISCHENBILANZ 2023: Gut, doch im zweiten Halbjahr könnte die Situation drehen

Zwar sind die Daten erst für wenige Monate verfügbar, doch die Zwischenbilanz 2023 für Südtirols Wirtschaft kann sich sehen lassen. Die Zahl der lohnabhängig Beschäftigten ist im Vorjahresvergleich weiter angestiegen (+2,2 Prozent), und hier die Zahl an Festanstellungen stärker (+2,4 Prozent) als jene der Befristungen (+1,6 Prozent). Die Arbeitslosenrate bleibt mit 2,9 Prozent niedrig. Südtirols Außenhandel startet gut ins Jahr 2023 und legt im ersten Quartal deutlich zu (Exporte: +12,1 Prozent, Importe: +20,6 Prozent). Die touristischen Nächtigungen expandieren in den ersten vier Jahresmonaten deutlich (+21,4 Prozent zum Vorjahreszeitraum) – wenngleich sich für den Sommer ein mäßigeres Ergebnis anbahnt. Die Inflationsrate in Bozen hat sich im Juni 2023 auf +6,4 Prozent zurückgebildet – die kumulierte Inflationsrate seit Jahresbeginn beträgt +8,4 Prozent. Die Kreditdynamik bleibt expansiv (in den ersten vier Jahresmonaten, +4,3 Prozent zum Vorjahreszeitraum) – eine Zahl, die angesichts der Zinsdynamik überrascht und die, nach Informationen der italienischen Notenbank Banca d’Italia, maßgeblich auf einige größeren Investitionsvorhaben zurückzuführen ist. Bei den Unternehmen mit weniger als zwanzig Beschäftigten zeigt sich das eingeräumte Kreditvolumen hingegen rückläufig. Nachdem das Schreckgespenst Inflation inzwischen weniger Sorgen bereitet, ist die große Unbekannte im zweiten Halbjahr, wie stark die Nachfrage nach Investitionsgütern und der Wohnbau auf die steigenden Zinsen reagieren.

DIE STIMMUNG: Eine „Verschnaufpause“ für Südtirols Arbeitnehmern

Die Stimmung unter Südtirols Arbeitnehmern hellt sich ein weiters Mal auf, allerdings in den meisten Fällen von niedrigen Niveaus aus. Mit Blick auf die nächsten zwölf Monate erwarten Südtirols Arbeitnehmer mit deutlicher Mehrheit eine positive Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft. Der entsprechende Indikator klettert auf sein Allzeithoch (Index: +24). Gleichzeitig wird erwartet, dass die Arbeitslosenzahlen in Südtirol tendenziell weiter abnehmen. Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, wird nach wie vor mit „moderat“ bewertet. Die Perspektiven, im Bedarfsfall einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden, knicken leicht ein, bleiben aber nach wie vor ausgesprochen gut. Die Fähigkeit der Arbeitnehmer, mit dem Einkommen ein Auskommen zu finden, klettern vom Allzeittief aus wieder Richtung langjähriger Durchschnitt. Zur Sparfähigkeit: 54 Prozent der Befragten geben an, in den nächsten zwölf Monaten Geld ansparen zu können – die anderen 46 Prozent halten dies nicht für möglich.

DIE PROGNOSEN: BIP-Wachstum von +0,7 Prozent für Südtirols Wirtschaft im Jahr 2023

Unbeschadet der Schwierigkeiten in Deutschland bleibt die Wirtschaft in der Eurozone auf Wachstumskurs. Für das Jahr 2023 rechnet man mit einem moderaten Wirtschaftswachstum von +0,6 Prozent. Während sich die Inflation weiter zurückbildet, dürfte der Wendepunkt in der Zinspolitik noch nicht erreicht sein. In Südtirol rechnet eine deutliche Mehrheit an Arbeitnehmern in den nächsten zwölf Monaten mit einer positiven Entwicklung für Südtirols Wirtschaft. Der Arbeitsmarkt zeigt sich solide – dasselbe gilt für den Kreditmarkt, wobei sich hier die Situation im zweiten Halbjahr drehen könnte. Die massive Erosion von Kaufkraft und Sparvermögen in einem nur kurzen Zeitraum (ein Sechstel in nur zwei Jahren!) wird die Konjunktur in Südtirol spürbar belasten – die Frage ist nur wann und mit welcher Intensität. Neben der hohen Inflation ist die steigende Zinslast ein weiterer Faktor, welcher den Privatkonsum eindämmt. Personen, welche ein laufendes Wohnbaudarlehen mit variablem Zinssatz haben, müssen im Schnitt mit einem monatlichen Mehraufwand von 154 Euro rechnen. Positiv anzumerken ist, dass die Kreditdynamik in Südtirol im Unterschied zu anderen Ländern noch nicht eingebrochen ist – was angesichts der deutlichen Zinsstraffung überrascht.

Angesichts des tendenziell positiven Gesamtbildes bestätigt das AFI seine BIP-Prognose für die Südtiroler Wirtschaft im Jahr 2023 von +0,7 Prozent.

Stellungnahme von AFI-Präsident Andreas Dorigoni

„Alle reden heute über den Fachkräftemangel, aber nur wenige sind sich darüber im Klaren, dass wir vor einem noch größeren Wendepunkt stehen, der die Arbeitswelt und die Gesellschaft völlig umgestalten wird: die digitale Transformation, angetrieben durch Technologien, die auf künstlicher Intelligenz basieren – mit allen Vor- und Nachteilen. Wir müssen auch auf diese neue Herausforderung vorbereitet sein.“

Bezirk: Bozen