Von: APA/dpa
Lange hat es gedauert, nun ist er da: Apples Einstieg in die erweiterte Realität, vom iPhone-Konzern liebevoll “räumliches Computing” genannt. Die Hightech-Brille namens Vision Pro soll digitale Inhalte in reale Umgebungen bringen und gleich eine neue Computerplattform etablieren. Was kann das Gerät für knapp 4.000 Euro, das am Freitag in Deutschland auf den Markt kommt?
Von außen sieht die Vision Pro ein wenig aus wie eine Skibrille mit Aluminium-Rahmen. Die Frontseite füllt ein Display aus. Es kann – ja wirklich – auch die Augenpartie der Person einblenden, die gerade das Headset trägt. Die Batterie ist in eine Luxus-Version eines externen Akkus mit Aluminium-Hülle ausgelagert. Das spart Gewicht am Kopf und hilft auch dabei, die Vision Pro über längere Zeiträume tragen zu können.
Für die Passform wird das Gesicht – ähnlich wie beim Einrichten der Face-ID-Gesichtserkennung – eingescannt. So wird die richtige Lichtdichtung ausgewählt, die dann das Sichtfeld gegen Licht von außen abschirmt.
Rein technisch gesehen könnte man die Vision Pro ein VR-Headset nennen: Wie bei anderen Geräten zur Anzeige virtueller Realität hat man Displays statt durchsichtiger Gläser vor Augen. Aber: Die Vision Pro ist konsequent darauf ausgelegt, digitale Objekte in die reale Umgebung einzublenden. Also: Erweiterte Realität (AR), aber auch die Möglichkeit zu VR.
Einmal aufgesetzt und eingeschaltet, sieht man den Raum, in dem man sich befindet – und die App-Symbole schweben in einiger Entfernung mitten im Raum. Dafür hat die Vision Pro mehrere Kameras, die die Umgebung einfangen, Bewegungen erkennen und die Position von Armen, Händen und Fingern erfassen. Das Bild wird dann auf die Bildschirme vor den Augen übertragen. Jedes Display hat mehr Pixel als ein 4K-Fernseher. Dadurch ist das Bild völlig klar, ohne die “Fliegengitter”-Optik, die man von manchen anderen Headsets kennt.
Zugleich kann man sich auch ganz woanders hin versetzen lassen – zum Beispiel an einen See oder auf den Mond. Das geht stufenlos durch Drehen der digitalen Krone, wie man sie von der Apple Watch oder den AirPods-Max-Kopfhörern kennt. Das reale Umfeld wird dann nach und nach von dem virtuellen Bild überblendet. Befinden sich andere Menschen im Raum und sprechen einen an, werden sie in die künstliche Umgebung eingeblendet, ein wenig wie ein Geist.
Ein Druck auf die Krone ruft die App-Symbole auf. Die Krone befindet sich auf der rechten Seite der Brille, dazu gibt es noch einen zweiten Knopf auf der linken Seite. Den drückt man zum Beispiel zweimal, wenn man eine App kauft. Ähnlich der Gesichtserkennung Face ID oder dem Fingerabdruck-Sensor gibt es auch eine biometrische Identifizierung auf der Vision Pro. Optic ID erkennt die Person am Muster der Iris. Das funktioniert noch reibungsloser und fehlerfreier als Face ID auf dem iPhone.
An jedem Ohr ist ein Lautsprecher, der 3D-Audio wiedergeben kann. Die Richtung, aus der man den Ton hört, passt sich dabei exakt und ohne Verzögerung der Position der Quelle an.
Für die Bedienung der Vision Pro muss man vor allem eine Geste lernen. Den Daumen und den Zeigefinger zusammenzudrücken hat den Effekt eines Mausklicks. Die Rolle des Cursors übernimmt dabei der Blick: Was man gerade ansieht, das wird auch angeklickt.
Erscheint eine virtuelle Tastatur, kann man auf ihr auch direkt mit den eigenen Fingern auf die Buchstabentasten drücken. Visuelle Effekte helfen zu erkennen, ob man einen Button gedrückt hat: Die Knöpfe scheinen leicht nachzugeben, als würde man auf eine straff gespannte Folie tippen. Obwohl die Finger eigentlich nur Luft berühren, gaukelt das dem Gehirn eine Art haptisches Feedback vor.
Eine Superkraft der Vision Pro ist, riesige Displays im Raum schweben zu lassen. So kann man sich Videos im Riesenformat mit Kino-Erlebnis ansehen. Während YouTube und Netflix bisher nur über den Webbrowser verfügbar sind, hat der Streaming-Dienst Disney+ eine App für die Vision Pro, über die man auch 3D-Filme schauen kann.
In der hauseigenen Apple-TV-App gibt es auch eine Kostprobe “immersiver” Videos, die noch realistischer wirken als die 3D-Effekte, die man aus dem Kino kennt. Es gibt Elefanten am Wasserloch, Parkour-Läufer in Paris und eine Frau auf einer Slackline zwischen Bergklippen. Vor allem aber Sport – American Football, Fußball, Basketball – erlebt man aus der Mitte des Geschehens wie nie zuvor.
Apple nimmt die Videos mit Spezialkameras aus eigener Entwicklung auf. Aber auch das iPhone 15 Pro nimmt immersive Videos auf, die in der Vision Pro abgespielt werden können. Sie erinnern an Erinnerungen aus dem Denkarium in Harry-Potter-Filmen: realistisches 3D-Bild mit leichtem Nebel an den Rändern. Es dürfte ein bisher einmaliger Weg sein, wertvolle Erinnerungen wie den ersten Kindergeburtstag oder außergewöhnliche Urlaubserlebnisse wieder aufleben zu lassen.
Bei herkömmlichen Bildern und Videos hat man in der Vision Pro den Vorteil, sie im Großformat zu sehen. Und wer über die Jahre Panorama-Aufnahmen mit dem iPhone angesammelt hat, kann davon schließlich profitieren: Sie lassen sich zu Ringsum-Ansichten in Leinwand-Größe auffalten. Mit Apps wie “Luminar” kann man in der Vision Pro auch Bilder bearbeiten.
Auch beim Arbeiten zahlt sich die Fähigkeit der Vision Pro aus, den Raum mit Displays auszufüllen. Die Fenster für E-Mail, Nachrichten und andere Apps lassen sich nebeneinander anordnen und größer oder kleiner ziehen. Apples Bluetooth-Tastatur und Trackpad lassen sich direkt mit der Vision Pro verknüpfen und zum Schreiben und Steuern verwenden. Da das Headset die Umgebung wiedergibt, können die Geräte dabei auf dem Schreibtisch liegen und man sieht sie dank der in der Brille eingebauten Kameras.
Auch kann man einen Mac-Computer mit der Vision Pro verbinden, die dann die Rolle des Displays übernimmt – mit viel mehr Bildschirmplatz und hoher Auflösung. Der Clou: Tastatur und Trackpad des MacBooks funktionieren dabei nahtlos sowohl für die Programme auf dem Computer als auch für diejenigen, die direkt auf der Computerbrille laufen. Für alle Büroarbeiter, die sich mehr Bildschirmplatz wünschen, funktioniert das alles außerordentlich gut.
Bei Computer-Design-Anwendungen lässt sich mit 3D-Objekten arbeiten, die im Großformat bearbeitet und von App zu App übertragen werden können. Der Modekonzern Gucci demonstrierte, wie das für eine neue Erzählform verwendet werden kann: Ein Video zur Vorstellung des neuen Chefdesigners Sabato de Sarno wird in der Vision Pro von 3D-Objekten aus der neuen Kollektion und anderen Spezialeffekten begleitet.
Für Videotelefonie in der Vision Pro gibt es auch eine 3D-Funktion. Dafür hält man die Brille vors Gesicht und muss den Kopf in verschiedene Richtungen drehen. Das Ergebnis ist eine Art Hologramm, das dann beim Anruf zum Einsatz kommt. Dank der Kameras am unteren Rand der Vision Pro folgt dieser “Persona”-Avatar in Echtzeit der eigenen Mimik. Die 3D-Hologramme der Gesprächspartner können dabei sowohl im Fenster erscheinen als auch frei in der realen Umgebung – dann sogar samt den Händen.
Bei Spielen verlässt sich die Vision Pro stark auf Apples hauseigene Abo-Plattform Arcade. Zum Deutschland-Start gibt es unter anderem “Warped Kart Racers”, bei dem man aminierte Rennwagen mit den Bewegungen eines imaginären Lenkrads steuert, sowie “Super Fruit Ninja”, wo es darum geht, virtuelle Früchte mit dem Handrücken zu zerschlagen.
Für 3.999 Euro bekommt man die Version mit 256 Gigabyte Speicher. Bei 512 GB steigt der Preis auf 4.249 Euro und das Top-Modell mit einem Terabyte Speicherplatz kostet in Deutschland 4.499 Euro. Für Brillenträger gibt es anders als bei Mitbewerbern nicht einen extra Abstandshalter, sondern individuell angepasste Zeiss-Linsen. Die kosten bis zu 169 Euro.
Mit der nächsten Version des Betriebssystems visionOS bekommt die Apple-Brille ab dem Herbst neue Funktionen. Zum einen soll Software auch herkömmliche Bilder aus der Mediathek in räumliche Fotos verwandeln. Mit neuen Gesten wird man unter anderem die Lautstärke einstellen und die Home-Ansicht aufrufen können. Das virtuelle Mac-Display wird auf einen gebogenen Bildschirm in der Größe von zwei nebeneinander angeordneten 4K-Monitoren erweitert werden können.
Nett für Familienmitglieder und Freunde: Der Gästemodus wird ihre Augen-Einstellungen speichern können, damit man die Vision Pro nicht jedes Mal aufs Neue für sie kalibrieren muss. Der Reisemodus, den es bisher nur für das Flugzeug gibt, wird mit visionOS 2 um Unterstützung der Nutzung in Zügen erweitert.
Apple prescht mit der Vision Pro in einen Bereich vor, den der Facebook-Konzern Meta schon seit Jahren beackert. Mark Zuckerberg spricht von dem “Metaversum” als einer virtuellen Welt für Arbeit und Unterhaltung. Sein Gegenangebot ist die Computerbrille Quest 3 zum Preis ab 549,99 Euro, die ebenfalls digitale Inhalte in reale Umgebungen einblenden lässt. Beim Konkurrenten HTC gibt es das Modell Vive XR Elite für 1.399 Euro.
Apple profitiert im Vergleich unter anderem von der höheren Auflösung der Displays vor den Augen sowie davon, dass die Vision Pro mit anderen Geräten des Konzerns wie den MacBooks zusammenspielen kann.
Apple etabliert mit der Vision Pro eine neue Computer-Plattform. Dank der hohen Display-Auflösung und der Verzahnung mit anderen Geräten des Konzerns kann sie deutlich mehr als bisherige VR-Brillen. Allein schon die Möglichkeit, riesige virtuelle Bildschirme für Büro-Anwendungen zu nutzen und räumliche Videos auch für private Erinnerungen, sind Gamechanger.
Hardcore-Gamer dürften hingegen weiter mit Virtual Reality vom PC wie Index von Valve besser bedient sein. Knapp 4000 Euro für die Vision Pro sind ein hoher Eintrittspreis, um diese Technik-Revolution hautnah mitzuerleben. Aber jeder, der interessiert ist, sollte die Vision Pro in einem Apple Store ausprobieren, um das Neue zu erleben.