Von: apa
Die Vorstände der Brennerbasistunnelgesellschaft BBT SE, Martin Gradnitzer und Gilberto Cardola, gehen mit “hoher Wahrscheinlichkeit” davon aus, dass der Brennerbasistunnel wie anvisiert auch tatsächlich im Jahr 2031 fertiggestellt und 2032 in Betrieb gehen wird. “Die Wahrscheinlichkeit, dass der Termin eingehalten wird, steigt”, sagte Gradnitzer im APA-Interview. Eine Unwägbarkeit sei aber noch die Ausschreibung die Bahntechnik betreffend, weil es hier einen Einspruch gebe.
Risken für etwaige Verzögerungen seien im derzeitigen Bauprogramm bzw. dem Projektmanagement enthalten, sodass man aus momentaner Sicht die Termine 2031 und 2032 bestätigen könne, so Gradnitzer. Hinzu komme: “Sämtliche Tunnelbaulose sind vergeben und in Bau. Somit können keine Vergaberisken aus den Baulosen mehr auftreten.” Zudem verfüge man mittlerweile auch über einen “fast durchgängigen Erkundungsstollen”, der für die geologische Erkundung von eminenter Bedeutung sei. “Es fehlen nur noch 1,6 Kilometer bis zum Durchschlag an der Grenze. Somit sind auch die geologischen Risken deutlich reduziert, das Gebirge großteils erkundigt”, konkretisiert der österreichische BBT-Vorstand.
Einen “Stolperstein” in vergaberechtlicher Hinsicht hat sich aber inzwischen offenbar aufgetan. “Die Bahntechnik, die ab dem Jahr 2028 eingebaut werden soll, ist noch nicht ausgeschrieben. Wir haben hier die Planungsausschreibung in Vergabe und haben dahingehend einen Einspruch bzw. einen Nachprüfungsantrag bekommen, der vom Verwaltungsgericht in Bozen behandelt wird”, erläuterte Gradnitzer. Am 7. März stehe dahingehend eine Verhandlung an, ergänzte Cardola. Mit einer Entscheidung, das heißt einem erstinstanzlichen Urteil, sei nach derzeitigem Stand Ende März zu rechnen. Man hoffe, dass sich das Gericht dieser “heiklen Angelegenheit bewusst ist und die Termine bzw. Fristen eingehalten werden.” Ergehe noch im März ein erstinstanzliches Urteil, könne man umgehend einen entsprechenden Auftrag erteilen und noch im April die Planungsleistungen einleiten lassen.
Sollte es erst im Herbst zu einem erstinstanzlichen Urteil kommen, was man nicht erwarte, würde es “schwierig” werden, die Termine 2031 und somit auch 2032 einzuhalten, räumte Gradnitzer ein. Aber davon gehe man “Stand jetzt” nicht aus. Und darüber hinaus betonte der BBT-Manager: “Wir gehen davon aus, dass das erstinstanzliche Urteil hält.” Bisher weise man in Sachen Bahntechnik-Ausschreibung eine “geringe Verzögerung” auf, die aber einkalkuliert worden sei und somit “noch keine Auswirkungen” habe.
Ursprünglich war eine Inbetriebnahme des Tunnels Ende 2028 anvisiert worden, im Jahr 2021 kam es schließlich zu einer Rückdatierung auf 2032. Den Hauptgrund dafür machte Cardola ganz klar in der Corona-Krise aus. Eine “weltweite Katastrophe wie Covid war nicht vorhersehbar und damit auch nicht das Risiko”, so der italienische Vorstand, man habe die Arbeiten in der Zeit nie komplett unterbrechen müssen, aber die Arbeiten seien aufgrund der Sicherheits- und Gesundheitsauflagen natürlich langsamer vonstatten gegangen. Der Unterschied zu früher: Nun seien im Bauprogramm auch andere Risiken wie Vergabeverfahren, Ausrüstung und Planung berücksichtigt.
In Sachen Gesamtprojektkosten warteten die beiden Vorstände mit vorerst guten Nachrichten auf. Es bleibe bei den festgesetzten 10,5 Mrd. Euro. “Es hat sich nichts geändert, was zu einer Neubewertung führen würde”, erklärte Gradnitzer. Im Vorjahr war es zu einer erhöhten Kostenschätzung bzw. “Anpassung” von ursprünglich kalkulierten 9,6 Mrd. Euro Gesamtprojektkosten auf ebenjene 10,5 Mrd. gekommen. Als Hauptgrund war die eingetretene große Inflationsentwicklung, zum Beispiel Preissteigerungen im Energiesektor und Teuerung der Baustoffe, genannt worden. “Einzelereignisse wie Krieg und damit verbundene wirtschaftliche Einwirkungen von außen sind nicht prognostizierbar. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen die Gesamtprojektkosten ermittelt. Eine Garantie zu verlangen, eine ‘Punktlandung’ quasi, wäre aber unseriös”, machte Gradnitzer deutlich.
Das Projektmanagement sehe vor, den Wert für die Preissteigerungen in der Zukunft miteinzuplanen – dies tue man, betonte der BBT-Vorstand. Auf Basis all dieser Berechnungen bleibe es bei den geschätzten Gesamtprojektkosten von 10,5 Mrd. Euro. Die Inflation sei rückläufig – und man hoffe, dass dieser Trend auch so anhält. “Eine Inflation von zehn Prozent wie in der Vergangenheit spüren wir sehr auf unseren Baustellen”, fügte Cardola hinzu. Eines war aber sowohl Gradnitzer als auch Cardola wichtig zu betonen: “Die Kosten sind seit Bauentscheidung in der Bandbreite konstant geblieben. Wir waren mit den Kosten immer in der groben Linie stabil.” Die Differenz zwischen den ursprünglich angenommenen 9,6 Mrd. und dem jetzigen Betrag mache genau jene eine Milliarde aus, die einzig allein auf die große Inflation und damit auf nicht prognostizierbare Umstände zurückzuführen war und ist.
In Sachen EU-Finanzierung sah man alles auf Schiene. Gradnitzer verwies auf die von der Europäischen Union zugesagten weiteren 700 Mio. Euro für die Finanzierungsperiode von Juli 2023 bis Dezember 2025. Das entspreche 50 Prozent der Finanzmittel, die man derzeit benötige. Die restlichen Kosten werden je zur Hälfte von Italien und Österreich getragen. Mit der neuen Kofinanzierung erhöhe sich die EU-Förderung für den Basistunnel auf insgesamt mehr als 2,3 Milliarden Euro. Man gehe davon aus und hoffe sehr, dass die EU den BBT auch für die restliche Zeit danach als prioritär einstuft “und uns so gut wie bisher unterstützt.”
Eher reserviert zeigten sich die Vorstände hinsichtlich der Zulaufstrecke vor allem im Norden in Deutschland, die derzeit noch alles andere auf Schiene ist und deren Trassenplanung sich als äußerst schwierig gestaltet und umstritten ist. Zuletzt war sogar davon die Rede, dass sogar das Jahr 2040 als jenes der Inbetriebnahme der nördlichen Zulaufstrecke nicht halten könnte. Als Vorstände der BBT SE sei man in erster Linie für die Errichtung des Haupttunnels zuständig, betonte Gradnitzer. Und nicht für anderes. Aber nur soviel: “Ich gehe davon aus, dass die Projektpartner im Norden, also die Deutsche Bahn, ihre Projektzeitpläne einhält und damit passt für mich das Gesamtsystem”, meinte der Brennerbasistunnel-Manager.
Dass der irische EU-Tunnelkoordinator Pat Cox vergangenes Jahr einen Brennerbasistunnel ohne nördliche Zulaufstrecke mit einem “Pub ohne Bier” verglich, was die angestrebte Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene betrifft, hielt Cardola indes “für politisch zulässig, aber überzogen”. Allein eine erhöhte Kapazität auf der Kernstrecke zu haben, werde schon einen “Anreiz” darstellen, um eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene zu erreichen und damit dem überbordenden Transitverkehr Herr zu werden: “Weil es einfach vorteilhaft ist. Wenn die gesamte Strecke München-Verona verfügbar ist, erhöht sich der Nutzen natürlich noch weiter.” Dazu brauche es aber auch eine Offensive, was die Schaffung der notwendigen Verladeterminals betrifft, mahnte Cardola die Verantwortlichen in Nord und Süd.
Von dem insgesamt 230 Kilometer langen Tunnelsystem des Brennerbasistunnels wurden seit Baubeginn 2007 inzwischen 163 Tunnelkilometer vorangetrieben – davon 65 Kilometer Fahrtunnel, 55 Kilometer Erkundungsstollen und 43 Kilometer Zufahrts-, Rettungs- und Logistiktunnel. Vier Baulose befinden sich derzeit noch in Bau – eines auf italienischer Seite sowie drei auf österreichischer. Zu den letzteren dreien gehört der neue Bauabschnitt “H53 Pfons-Brenner” – das größte Baulos auf österreichischem Projektgebiet, das rund 29 Kilometer Tunnel umfasst, die zwischen dem Gemeindegebiet von Pfons und der Staatsgrenze am Brenner ausgebrochen werden.
Bis Ende 2024 sollen bereits die Arbeiten im Baulos “H21 Sillschlucht”, dem nördlichsten des gesamten Brennerbasistunnel-Projekts, abgeschlossen sein. Generell soll der Rohbau bei planmäßigem Verlauf im Jahr 2028 finalisiert sein, die gesamten Haupttunnelröhren im Laufe desselben ersten Halbjahres fertiggestellt werden.
Der BBT verläuft auf 55 Kilometern zwischen Innsbruck und dem Südtiroler Franzensfeste und gilt als Kernelement der neuen Bahnverbindung von München bis Verona. Nach Fertigstellung wird der flach verlaufende Eisenbahntunnel nach Angaben der ÖBB mit 64 Kilometern “die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt” sein. Der Tunnel bildet zudem ein Kernstück des TEN-V Kernnetzkorridors Skandinavien-Mittelmeer.