Tagung anlässlich des Weltseniorentags

Was tun gegen Einsamkeit im Alter?

Mittwoch, 02. Oktober 2024 | 15:01 Uhr

Von: Ivd

Bozen – Rund 37 Prozent der Südtiroler leben in einem Einpersonenhaushalt – Tendenz steigend. In den größeren Städten wie Bozen und Meran sind es mittlerweile sogar 43,7 Prozent bzw. 44,5 Prozent, die gewollt oder ungewollt alleine leben. Allein leben ist aber keineswegs gleichbedeutend mit einsam sein und nicht jeder, der so lebt, fühlt sich auch so. Während es bei jüngeren Menschen oft auch auf einen gestiegenen Individualismus zurückzuführen ist, lebt beispielsweise jede dritte Frau über 75 Jahre allein in den eigenen vier Wänden. Die Gründe dafür sind vielfältig: der demografische Wandel oder weil sie verwitwet sind. Anlässlich des gestrigen Tages der Senioren wurde das Thema bei einer Tagung in Bozen, die von der KVW Bildung in Zusammenarbeit mit dem Amt für Senioren und Sozialsprengel organisiert wurde, aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.

Den Auftakt machte der ehemalige Meraner Primar, Geriater und Gerontologe Dr. Christian Wenter, der sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt hat und als Arzt ganz nah an seinen Patientinnen und Patienten ist. Seiner Meinung nach ist Einsamkeit weiterverbreitet, als man denkt, und das Gefühl der Einsamkeit, niemanden zu haben, mit dem man sich austauschen kann und der da ist, wenn man ihn dringend braucht, verstärkt gesundheitliche Probleme. Sowohl die Psyche als auch der Körper leiden darunter, wenn man sich mit zunehmendem Alter immer mehr in sein Schneckenhaus zurückzieht. Depressionen, Angstzustände, Alkohol- oder Zigarettenmissbrauch können ebenso die Folge von Einsamkeit sein wie Mangelernährung durch einseitige Ernährung bis hin zu Alzheimer und Krebs, so der KVW. „Es ist ein Teufelskreis, denn chronische Krankheiten verstärken auch die soziale Einsamkeit und es ist bezeichnend, dass dieses Phänomen der Einsamkeit im Alter weltweit auf dem Vormarsch ist. Nationen wie Japan oder Großbritannien haben bereits seit einigen Jahren einen Minister für Einsamkeit, um der alternden Bevölkerung Impulse zu geben, aktiv gegen dieses Phänomen vorzugehen“, so Wenter in seinem Vortrag.

Daniela Gassen vom Malteser Hilfsdienst brachte Beispiele, wie man der Vereinsamung im Alter gezielt entgegenwirkt und neue Angebote für Seniorinnen und Senioren schafft. So gibt es seit 2003 das Projekt der Besuchsdienste, bei dem Ehrenamtliche alte und einsame Menschen zu Hause besuchen und ihnen bis zu drei Stunden ihrer Zeit schenken. Es geht um Begegnung und Abwechslung in einem sonst eintönig gewordenen Leben in der eigenen Wohnung. Unterstützt von zwei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und mehreren Gruppenleitern leisten über 160 Personen diesen wichtigen ehrenamtlichen Dienst. “Wertvoll sind auch die Besuchsdienste mit Hund, denn Tiere sind meist gute Türöffner. Gut angenommen werden auch die Kulturbegleitdienste, bei denen ältere Menschen in Gruppen gemeinsam ein Konzert oder ein Museum besuchen“, berichtete Gassen aus ihrer Erfahrung. Ergänzt werde das Angebot durch gemeinsame Ausflüge, Unterstützung bei digitalen Medien und Fahrdienste, schließlich schränke auch eine eingeschränkte Mobilität viele Senioren in ihren Aktivitäten ein. Ganz wichtig sei es aber auch, die Ehrenamtlichen im Blick zu haben und ihr Engagement durch gemeinsame Erlebnisse, zum Beispiel eine jährliche Adventsfeier, zu würdigen und ihnen zu danken. Auch wenn sie viel Dankbarkeit und Wertschätzung erfahren, sei es nicht selbstverständlich, dass sie sich für die Gemeinschaft einsetzen.

Auch in Südtirol gehe das Engagement zurück und es sei schwieriger als noch vor einigen Jahren, Menschen für solche Dienste zu gewinnen. Der Landesvorsitzende des KVW, Werner Steiner, appellierte an die Anwesenden, selbst aktiv zu werden, Verantwortung zu übernehmen und wieder mehr das Miteinander als das Füreinander in den Vordergrund zu stellen. Wenn man selbst die Verantwortung für das Gelingen eines Projektes trägt, setzt man sich ungleich mehr dafür ein.

Landesrätin und Landeshauptmann-Stellvertreterin Romarie Pamer hob einige wichtige Maßnahmen hervor, die bereits umgesetzt werden: So entstehen landauf, landab neue Wohnformen, die Stundenanzahl des Hauspflegediensts wurde erhöht… “Großes Potenzial sehe ich aber in der Vernetzung und Kooperation. Ohne diese wird es nicht gehen, denn die Herausforderungen werden immer größer“, so die Landesrätin.

In einer anschließenden Podiumsdiskussion wurden Best-Practice-Modelle aus Südtiroler Seniorenheimen und Seniorenclubs vorgestellt. Neben dem obligatorischen Kaffee und Kuchen, einem Karterle… sei es wichtig, das Angebot zu differenzieren. Nicht für alle Seniorinnen und Senioren sei das gleiche Angebot gut: Die einen gehen wandern, die anderen interessieren sich für Kultur, wieder andere sind technikbegeistert.

Brigitte Waldner, Direktorin des Amtes für Senioren und Sozialsprengel und Mitorganisatorin der Tagung, beschäftigte vor allem die Frage, wie man diese einsamen Menschen erreichen kann. „Es ist vor allem schwierig, jene zu erreichen, die noch nicht pflegebedürftig, aber auch nicht mehr so aktiv sind. Wer dazwischen liegt, fällt durch das Raster“, so Waldner. Jede und jeder Einzelne ist gefordert, hinzuschauen und aktiv zu werden. Die KVW Bildung plant daher im Oktober und November 4 Workshops zu diesem brisanten Thema, um gemeinsam konkrete Schritte gegen die Einsamkeit setzen zu können.

Nicht alles kann institutionell und professionell geleistet werden. Die größte Ressource liegt bei uns selbst, in der eigenen Familie, in der Nachbarschaft, im Freundes- und Bekanntenkreis, um einsame Menschen wieder zu integrieren und so den Fehlentwicklungen der letzten Jahre, -verstärkt durch die Pandemie, entgegenzuwirken

Bezirk: Bozen

Kommentare

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1 Kommentar auf "Was tun gegen Einsamkeit im Alter?"


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thomas
thomas
Kinig
1 Monat 21 Tage

Dr. Wenter hat einen sehr schönen Vortrag gehalten. Das gibt zu denken

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