Von: luk
Bozen – Noch vor Corona haben die zwei Wirtschaftsprofessoren Stefan Franz Schubert und Günter Schamel eine Studie zu nachhaltiger Tourismusentwicklung verfasst. Welche Stellschrauben müssen gedreht werden, um Laissez-faire-Attituden entgegenzuwirken? „Unser dynamisches Modell zeigt auf, dass und wie Aspekte aus dem wirtschaftlichen und sozialen Bereich das Wohlergehen der Einheimischen beeinflussen“, so die zwei Professoren.
Das Thema des Übertourismus (Overtourism) ist schon in den Monaten vor Corona auch in Südtirol heftig diskutiert worden. Was bei Städten die Tourismushochburgen Venedig oder Barcelona sind, ist auf Südtirol umgemünzt der Pragser Wildsee, für den ob der hohen Besucherzahlen der Ruf nach einer verantwortungsvolleren und nachhaltigeren Tourismusentwicklung im Raum steht.
Pragser Wildsee: Wie schaut es mit dem Sicherheitsabstand aus?
Die beiden Professoren wollten in diesem Zusammenhang die mit der Tourismusentwicklung verbundenen externen Effekte betonen. „In unserem Modellansatz bezieht sich der Grad der Tourismusentwicklung auf die Quantität und Qualität der für Gäste produzierten touristischen Dienstleistungen.“ Auf dieser Grundlage entwickelten der Volkswirtschaftler Schubert und der auf Weinwirtschaft spezialisierte Professor Schamel ein theoretisches Modell des nachhaltigen Tourismus, welches das Wohlergehen der Einheimischen berücksichtigt und dabei externe Effekte und Kompromisse mit weniger nachhaltigen Tourismusformen einbezieht. „Konkret bedeutet dies, dass wir ein dynamisches Modell des Wohlergehens der Einheimischen entwickelt haben, bei dem sich der Nutzen aus dem Konsum, der Qualität des Tourismus wie bessere Restaurants oder Wanderwege und der Anzahl der Touristen ergibt“, so die Professoren.
„Für unser theoretisches Modell sind die Qualität des Tourismus und deren Verbesserung grundlegende Parameter“, schicken die beiden voraus. „Durch Investitionen werden Quantität und Qualität der bestehenden touristischen Dienstleistungen erhöht und ermöglichen eine wachsende Zahl von Besuchern mit wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Auswirkungen auf die Gastgeberregion. Gemeint sind bei der Tourismusentwicklung der Bau von Infrastrukturen wie neue Hotels, Straßen, Einkaufszonen, womit Tourismus zum Einkommen der lokalen Wirtschaft beiträgt, und Einrichtungen wie Restaurants, Bars und Fachgeschäfte, die Touristen und Einheimischen gleichermaßen zur Verfügung stehen.
Der wissenschaftliche Indikator zur Messung der Tourismusqualität ist komplex und schwierig zu ermitteln, hängt er doch entscheidend vom regionalen Kontext mit Bezug auf wirtschaftliche Vielfalt, Umweltsensibilität und sozialen Zusammenhalt ab. Die Politik rückt dabei in den Fokus: „Eine wohlwollende Regionalregierung maximiert das Wohlergehen der Einwohner, indem sie deren Konsumrate, die Anzahl der Betten und eine entsprechende Investitionsrate in die Qualität des Tourismus wählt. Unsere Ergebnisse hängen entscheidend von der Ausgangszahl der Touristen und dem Zustand der Tourismusqualität ab.“
Konkret zeichnen die zwei Professoren zwei Szenarien: Angenommen, der Ausgangszustand der Tourismusqualität liegt unter seinem langfristigen Optimum. Wenn die anfänglichen Besucherzahlen gering sind, sodass ihre Erhöhung das Wohlbefinden der Bewohner direkt und via Konsum indirekt steigert (d.h. mehr Tourismusangebot und kultureller Austausch erhöhen den Grenznutzen des Konsums für die Bewohner), besteht die optimale Strategie darin, in die Qualität des Tourismus zu investieren und die Zahl der Touristen mit der Zeit zu erhöhen, wenn sich die Qualität ändert. Wenn die anfänglichen Besucherzahlen hoch sind, wird durch ihre Erhöhung der Grenznutzen des Konsums für die Bewohner weiter verringert wie durch ausgebuchte Restaurants oder überfüllte Wanderwege, und die optimale Strategie besteht darin, die Qualität des Tourismus im Laufe der Zeit zu erhöhen, aber die Besucherzahl zu verringern.
„Wir zeigen, dass das von einer wohlwollenden Regierung implementierte soziale Optimum in einer dezentralisierten Marktwirtschaft durch zeitlich variierende Steuersätze reproduziert werden kann. Ein wohlwollender zentraler Planer würde eine regionale Wirtschaft über einen längeren Zeitraum steuern, immer unter Berücksichtigung von Spillover-Effekten und möglichen Kompromissen bei der Quantität. Zur Anwendung kommt hierbei ein Modell einer kleinen, offenen und regionalen Wirtschaft, in der die Einwohner Tourismusunternehmen besitzen und Zugang zu den Finanzmärkten haben, auf denen sie zu einem bestimmten Zinssatz Kredite aufnehmen oder verleihen können und wo die Unternehmen über die Produktion von Tourismusdienstleistungen und über Investitionen in die Dienstleistungsqualität entscheiden.“
Da es aber eine die Wirtschaft direkt steuernde, das Wohlbefinden der Einwohner maximierende wohlwollende Regionalregierung in der Praxis nicht gibt, sondern die Wirtschaft in Form der dezentralisierten Marktwirtschaft organisiert ist, die keine Spillovers, also „Überschwappeffekte“ berücksichtigt, weil die Akteure bei ihren Entscheidungen externe Effekte rational nicht berücksichtigen, kommt es zu Problemen, wie die beiden Autoren ausführen. Das resultierende Laissez-faire-Gleichgewicht in der dezentralisierten Marktwirtschaft ist nämlich aus sozialer Sicht suboptimal, da das Wohlbefinden der Bewohner nicht maximiert wird. „Eine Regionalregierung kann das Wohlergehen der Bewohner verbessern, indem sie ein zeitlich variierendes System von Steuern oder Subventionen einführt“, so Schubert und Schamel. „Diese Steuern, wenn sie angemessen festgesetzt werden, verändern die Anreize für Unternehmen so, dass sie sich sozial optimal verhalten, was zu einer nachhaltigeren Tourismusentwicklung führt. Betrachtet man die eingangs zitierten Beispiele von Städten mit Übertourismus (z.B. Venedig, Barcelona), so lassen sich wichtige Lehren ziehen. Während die Besteuerung von Besuchern die Touristenzahlen verringern kann, erfordert eine angemessene politische Reaktion möglicherweise zusätzliche Investitionen in die Qualität, um die verbleibenden Besucher und Einwohner zufrieden zu stellen.“
Abschließend unterstreichen die Autoren, dass ihr Modell zeige, dass die durch Besucher und hochwertige Investitionen verursachten externen Effekte komplex sind und dass je nach der konkreten Wirtschaftslage bestimmte Politikkombinationen im Laufe der Zeit umgesetzt und angepasst werden sollten. Sie betrachten ihr Modell als einen wichtigen Beitrag zur laufenden Debatte über nachhaltige Tourismusentwicklung und Übertourismus, das wertvolle Erkenntnisse liefert und geeignete politische Antworten vorschlägt.
BIO
Seit 2005 lehrt Prof. Stefan Franz Schubert an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Bozen die Fächer Makroökonomik, Internationale Volkswirtschaftslehre und Wachstum und Entwicklung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomik, Makroökonomik offener Volkswirtschaften und Wirtschaftswachstum. Vor seiner Zeit in Bozen arbeitete er an der LMU in München, an der er auch seinen PhD ablegte. Dort erhielt er im Jahr 2000 die Auszeichnung “Award of the Year 2000 of the Faculty of Economics for Outstanding Performance in Teaching”. Im Jahr 2013 wurde ihm der “Thea Sinclair Award for Journal Article Excellence” verliehen.
Prof. Günter Schamel ist angewandter Agrarökonom und setzt seine Forschungsthemen in den Bereichen Wein- und Tourismuswirtschaft sowie ländliches Genossenschaftswesen. Er studierte an der TU München (TUM), der University of California, Davis und promovierte an der Cornell Universität (Dyson School). Anschließend arbeitete er bei der Weltbank und lehrte und forschte an der Berliner Humboldt Universität, der TUM, der Cornell und Iowa State Universität und an der BSB in Dijon. Er wurde als Fellow der American Association of Wine Economists (AAWE) ausgezeichnet und er ist und mit dem Robert Mondavi Institute Center für Wine Economics und dem Wine Economics Research Center in Adelaide, Australien assoziiert. An der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der unibz lehrt er seit 2006.