Von: mk
Bozen – Junge Menschen werden zunehmend zu Schlüsselakteuren für den Fortschritt und für positive Veränderungen. Der acht- oder zwölfmonatige freiwillige Landeszivildienst bietet volljährigen jungen Leuten bis zum 28. Lebensjahr in Südtirol eine Gelegenheit, sich gesellschaftlich einzubringen. Die 24-jährige Sophie Baumgartner aus Jenesien leistet seit vergangenem Herbst und noch bis September ihren Zivildienst bei den Südtiroler Weltläden. Deren Verantwortliche freuen sich über das Engagement junger Menschen, plädieren allerdings dafür, die durchwegs gut ausgebildeten jungen Leute auch angemessen zu entlohnen.
Schon als Kind saß Sophie Baumgartner bei den Sitzungen des Bozner Weltladens neben ihrem Vater, der als Vorstandsmitglied tätig war. Die Grundschülerin stellte kritische Fragen und wurde zum Zuhören aufgefordert. „Wir sind in eine privilegierte Zeit hineingeboren“, sagt sie heute und vergleicht mit dem Leben von Frauen vor 50 Jahren: „Unsere Freiheit in Europa bedeutet Verantwortung und Pflicht zugleich.“ Deswegen hat sie nach dem Studium der Mathematik und von Altgriechisch mit Latein und einem Master in Altertumswissenschaften entschieden, nach Südtirol zurückzukehren und sich bei den Südtiroler Weltläden als Zivi zu engagieren.
Der Faire Handel sei keine billige Kurzzeitlösung und kein Greenwashing, sagt sie, sondern viel mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Während beinahe jeder Verkauf im konventionellen Handel irgendwo für Mensch, Tier oder Umwelt schädlich sei, biete der Faire Handel nicht nur eine Alternative, sondern wirke sich dauerhaft und tiefgreifend positiv für alle Beteiligten aus. „Fairer Handel bietet systematische Veränderung“, sagt sie. „Hinter jedem Produkt steht ein schönes Projekt, ein Zeichen der Rebellion.“ Diese Rebellion zeige sich in der gezielten Unterstützung von alleinerziehenden Müttern in Bolivien, in der Erhaltung einer Schule für syrische Flüchtlinge in der Türkei, im Aufhalten der Wüste durch Arganbäume in Marokko, im Widerstand gegen illegale Minen in Ecuador, in der Befreiung von jungen Mädchen aus der Prostitution auf den Philippinen: Sophie Baumgartner ist überzeugt von dem, was sie tut und sie lebt es auch. Der Faire Handel wende sich gegen rassistische, sexistische, homophobe und anders problematische Systeme, von denen der konventionelle Handel lebe. Der engagierten LGBTQ+ Person ist es zum Beispiel wichtig, über die Heuchelei großer Firmen aufzuklären, die zwar LGBTQ+ Waren verkaufen, aber gleichzeitig Anti-LGBTQ+ Politikerinnen und Politiker unterstützen und in ihrer Produktionskette LGBTQ+ Menschen diskriminieren. „Ich verstehe nicht, wie man sich beim Einkauf für den konventionellen Handel entscheiden kann“, sagt die junge Frau. „Das will ich so laut in die Welt hinausschreien, wie ich nur kann.“
Sophie Baumgartner wird bei ihrem Zivildienst von der Koordinatorin der Südtiroler Weltläden Brigitte Gritsch begleitet. „Ich darf jeden Tag unheimlich viel von Brigitte lernen. Ihre tiefe Überzeugung vom Fairen Handel ist ungemein motivierend, sie unterstützt meine Ideen von ganzem Herzen, und die Stimmung, die wir bei der Arbeit haben, ist beneidenswert, sagt Sophie Baumgartner. Sie kann bei der Wahl ihrer Aufgaben aktiv mitreden und kümmert sich unter anderem um Social Media der Weltläden (Ig: fairtrade.suedtirol).
Zivildienstleistende erhalten monatlich 450 Euro. Sophie Baumgartner kann sich finanziell nur dank der Unterstützung ihrer Eltern über Wasser halten. „Die Möglichkeit, Zivildienst zu leisten, sollte nicht von diesem Privileg abhängen, sondern für alle zugänglich sein“, plädiert die junge Frau. Als Vorteil empfindet sie als Zivi die kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Doch sollte das Zivildienstjahr auch pensionsversichert sein, plädiert sie. Das hemme derzeit viele Jugendliche, sich für einen Zivildienst zu entscheiden. „Ein Jahr Zivildienst zu machen, sollte uns nicht langfristig benachteiligen.“
Auch die Koordinatorin der Südtiroler Weltläden Brigitte Gritsch unterstreicht das: Es gebe zwar viel junges Engagement, aber das dürfe nicht ausgenutzt, sondern müsse gerecht entlohnt werden, „zumal die Lebenskosten in Südtirol enorm hoch sind“. Der Rückgang an Zivis in den vergangenen Jahren habe sicherlich auch soziale und kulturelle Gründe, allerdings ist Brigitte Gritsch überzeugt, dass sich viele junge Leute den Zivildienst aus finanzieller Sicht nicht mehr leisten können. „Zivis sind eine wertvolle Unterstützung für unsere Organisationen. Wir hoffen, dass für den Landeszivildienst die Parameter angepasst werden, damit junge Menschen diese Möglichkeit vermehrt nutzen und womöglich neue Interessen entdecken.”
Zur Person
Sophie Baumgartner, geboren 2000, mit zwei jüngeren Brüdern in Jenesien aufgewachsen, hat zuerst in Exeter einen Bachelor in Mathematik und Altgriechisch mit Latein gemacht, dann in Oxford einen Master in Altertumswissenschaften, und zuletzt in der Region Phichit in Thailand eine Ausbildung zur Englischlehrerin absolviert, während sie an einer Grund- und Mittelschule unterrichtet hat. Seit Oktober 2023 ist die 24- Jährige als Zivi bei den Südtiroler Weltläden aktiv. Nach dem Studium hatte sie den Wunsch, etwas zu bewegen. Sie hatte im sozialen/aktivistischen Bereich keine spezielle Ausbildung, kennt die Weltläden allerdings seit Jahren, fand die Idee und die mitwirkenden Menschen inspirierend und freut sich, seither dort Erfahrungen zu sammeln. Das hilft ihr zu entscheiden, ob Kommunikation ein Bereich ist, der ihr langfristig gefallen könnte. Sie möchte dieses Jahr nutzen, um zu verstehen, ob sie sich nach fünf Jahren im Ausland in Südtirol wieder wohlfühlen kann oder doch nur vorübergehend länger daheim sein möchte.