Von: luk
Bozen – Gewerkschaften und SAD-Geschäftsführer Ingemar Gatterer sollten sich an einen Tisch setzen, um den Zusatzvertrag auszuhandeln. Das fordert Landeshauptmann Arno Kompatscher und bietet den Sozialpartnern eine Vermittlerrolle des Landes an.
Ingemar Gatterer hat wenige Stunden später einen offenen Brief an den Landeshauptmann geschrieben, in dem er seine Sicht der Dinge präsentiert:
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann Dr. Kompatscher,
Sie schreiben in der heutigen Ausgabe der Dolomiten, dass ein Zusatzkollektivvertrag nicht von einem Verwaltungsgericht außer Kraft gesetzt werden kann. Ein Verfassungsgericht müsste nämlich das Landesgesetz als verfassungswidrig erklären. Dazu erkläre ich Ihnen gerne erneut wie folgt:
Selbstverständlich wendet sich ein etwaiger Rekurs zur Sozialklausel nicht nur gegen die Ausschreibung selbst (also „bando di gara“), sondern auch gegen Art. 17 Abs. 2 des Landesgesetzes, womit die Verfassungskonformität automatisch in Frage gestellt werden muss. Dies ist jedoch nichts Besonderes, sondern ein gewöhnlicher Rechtsvorgang, indem nicht nur die Wirkung der gesetzlichen Maßnahme, sondern auch deren rechtlicher Ursprung angefochten wird. In diesem Zusammenhang wichtig ist nämlich die Frage, ob das Landesrecht mit den verfassungs- und europarechtlichen Bestimmungen im Einklang steht oder nicht. Die Vereinbarkeit ist hier jedoch zweifelsfrei nicht gegeben, da Art. 17 des LG in seiner rigiden Formulierung nicht den Grundsatz der unternehmerischen Organisationsfreiheit respektiert. Im Art. 5 Abs. 5 der Europäischen Verordnung 1370/2007 heißt es nämlich: „Unbeschadet des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts, einschließlich Tarifverträge zwischen den Sozialpartnern, kann die zuständige Behörde den ausgewählten Betreiber eines öffentlichen Dienstes verpflichten, den Arbeitnehmern, die zuvor zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden, die Rechte zu gewähren, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG erfolgt wäre.“ Aus dieser Vorschrift geht klar hervor, dass der Übergang der Mitarbeiter an den Ausschreibungsgewinner gemäß den Vorschriften eines Betriebsüberganges abzuwickeln ist. Die Bestimmungen des Betriebsüberganges können in der Richtlinie 2001/23 EG ffg. nachgelesen werden. Dort klar verankert ist, dass das übernehmende Unternehmen sein Organisationskonzept durchsetzen kann. Zu diesem Tatbestand gibt es die zitierten Gerichtsurteile. Überdies regelt Art. 50 des neuen Vergabegesetzes (50/2016), dass eine Sozialklausel in einer öffentlichen Vergabe zulässig ist, jedoch die Prinzipien der Europäischen Union zu respektieren sind. Art. 50 hat demnach dieselbe Wirkung wie Art. 5 der VO 1370/2007. Da ein Zusatzkollektivvertrag nun sowohl Aspekte von betrieblicher Organisation bzw. Produktivität als auch Lohnzulagen beinhaltet, bedeutet vorher Dargestelltes für Südtirol folgendes:
1) Das betriebliche Organisationsmodell kann den Bietern über Art. 17 Abs. 2 LG 15/2015 nicht vorgeschrieben werden. Zur Organisation eines Unternehmens gehören die gesamten Aspekte, welche sich auf Zusatzzeiten, lange Turnusse bis 15 Stunden, Zusammenlegen von Dienstresidenzen, Zulagen außerhalb von Dienstresidenzen, Anfahrtskosten zu Residenzen und vieles mehr beziehen. Gerade zu diesen Themen streiken jedoch die Gewerkschaften seit Jahren und genau diese sind über ein einschränkendes Landesrecht nicht regelbar.
2) Lohnzulagen oder Dienstalterszulagen sind selbstverständlich von Art. 17 Abs. 2 LG 15/2015 abgesichert. Dies wurde von SAD auch nie in Abrede gestellt. Tatsache ist jedoch, dass wir in Südtirol derzeit keinen geltenden Zusatzvertrag mehr haben. Wenn also Art. 17 den Bestand von Lohnzulagen absichern möchte, ist anzumerken, dass dieser ins Leere läuft, da es eben, wie erwähnt – keinen Vertrag mehr gibt – welcher dieses Recht garantiert. Art. 17 in Kombination mit Art. 15 Abs. 1 Buchstabe f) kann auch nicht so interpretiert werden – so wie derzeit von den Gewerkschaften versucht –, dass von Seiten des Unternehmens eine Verpflichtung besteht, einen Zusatzvertrag abzuschließen und anzuwenden. Beide Artikel regeln nämlich nur den Beibehalt desselben – soweit einer existiert. Damit ein solcher Vertrag vorhanden ist und die gewünschte Wirkung entfalten kann, muss er jedenfalls neu vereinbart werden und über den Ausschreibungszeitraum hinaus Geltung haben. Wenn die Gewerkschaften nun drohen, über die Arbeitsgerichte den bisherigen Vertrag mit dem Argument von „ersessenen Rechten“ einzufordern, berücksichtigen sie nicht, dass sie mit einem jahrelang andauernden Rechtsstreit in den Wettbewerb ziehen (da die Vergabe ja früher kommt als ein definitives Urteil), wo erst in letzter Instanz entschieden wird, ob die bisherigen Lohnzahlungen Bestand haben oder nicht. Wenn sie nicht bestehen, verlieren die Mitarbeiter alles, da Bieter bereits mit dieser „ökonomischen Chance“ ihr Angebot kalkulieren und entweder den Preis erheblich absenken oder darauf spekulieren, besonders hohe Gewinne zu erwirtschaften (siehe Einsparung durch Kündigung des Kollektivvertrages von 3 Millionen Euro pro Jahr = für 10 Jahre Vertragslaufzeit 30 Millionen Euro). Auch Ihre Anmerkung „…dass ein Zusatzvertrag hinsichtlich der Neuausschreibung besonders wichtig ist…“ ist in diesem Zusammenhang verwirrend, denn wenn auf Seiten der öffentlichen Verwaltung die Überlegung vorliegt, einen vorhandenen Zusatzvertrag verpflichtend einzufordern oder mit Qualitätspunkten zu belohnen, wäre dies bereits eine Diskriminierung gegenüber anderen Bietern und europarechtlich nicht haltbar.
SAD hat den Zusatzkollektivvertrag nun somit eben deshalb gekündigt, da die organisationstechnischen Vorgaben – wie unter Punkt 1 beschrieben – mit einer wettbewerbskonformen Ausrichtung nicht vereinbar sind. Da eine Teilauflösung des Abkommens nicht möglich war, musste der gesamte Vertrag – eben inklusiv der Lohnzulagen – gekündigt werden.
Selbstverständlich bin ich bereit mit Ihnen – auch unter Ihrer Mitgestaltung – einen neuen Vertrag zu verhandeln, wo den Mitarbeitern die bisherige Nettoentlohnung zugesichert wird. Dass Sie hierfür die Geldmittel bereitstellen, erachte ich als Selbstverständlichkeit, zumal sie ja auch bisher bereitgestellt wurden. Entscheidend ist jedoch, dass sämtliche Aspekte der Organisationseffizienz auf ein konkurrenzfähiges Niveau geführt werden. Ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, dass etwa der Vertrag von Busitalia vorsieht, dass Dienstspannen von bis zu 15 Stunden im Ausmaß von 20% (…und weiteren 18% auf freiwilliger Basis…) abgewickelt werden können (während Busitalia also bis zu 38% der Dienste mit einer solch langen Spanne ausrichten kann, liegt dieser Wert bei SAD nur bei 8,5 %). Weiters weist dieser Vertrag eine erhebliche Reduzierung der Zusatzzeiten auf. SAD muss daher – um Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen – zumindest dieselbe Organisationseffizienz umsetzen können wie Konkurrenzbieter. Einen solchen Vorschlag haben wir den Gewerkschaften aber bereits vorgelegt… – diese haben – wie Sie wissen – jedoch abgelehnt. Um das Thema voranzubringen, haben wir daher beiliegendes Schreiben verfasst, welches ich Ihnen beilege.
Ich weise abschließend darauf hin, dass auch bei einer Inhouse-Lösung – welche von Ihnen letzthin öffentlich als Option angemerkt wurde -, gemäß Art. 192 D. lgs. 50/2016 die Verpflichtung der „congruità economica“ besteht. Bei einer öffentlichen Vergabe wird dieser schwierige Prozess – nämlich Effizienz auch gesellschaftspolitisch durchzusetzen – an einen Privaten ausgelagert so wie in modernen arbeitsteiligen Staats- und Demokratiemodellen üblich… – bei einer Inhousevergabe muss derselbe von der politischen Vertretung selbst durchlaufen werden, mit dem Nachteil, dass Politik und Verwaltung Verantwortung übernehmen müssen und nicht einen Dritten für sein Handeln schlecht reden können. Inhouse kann jedenfalls nicht dazu verwendet werden, um öffentliche Geldmittel an europarechtlichen Effizienzmaßstäben vorbeizuschleusen, mit dem Ziel Wahlgeschenke oder politische Beliebtheit zu verteilen. Lediglich das von SAD vorgelegte PPP-Projekt hätte die Problematik lösen können, da in diesem Fall die vom Privaten vorgelegten arbeitsrechtlichen Vorgaben bindender Bestandteil des Ausschreibungsprojektes gewesen wären. Schlimm ist lediglich, dass dieses Projekt aus Prinzip in Missgunst gestellt wurde, da es von SAD bzw. meiner Person kam…– auf der Seite von Politik und Verwaltung sich jedoch offensichtlich niemand – auch nicht im Ansatz – darüber Gedanken gemacht hat, was Konsequenz und Wirkung dieser Haltung für den Südtiroler Nahverkehr bedeutet.
Mit freundlichen Grüßen
DDr. Ingemar Gatterer, MBA
(CEO SAD AG)