Ernüchternde Ergebnisse

Zweitsprachkompetenzen der Südtiroler Schüler verschlechtern sich

Dienstag, 23. Mai 2017 | 17:16 Uhr
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Von: luk

Bozen – Italienischsprachige Oberschüler, die gute Dialektkompetenzen besitzen, zeigen auch beim Schreiben im Deutschen gute Sprachkenntnisse. Bei den deutschsprachigen Schülern ist es das häufige Italienischsprechen außerhalb der Schule, das ihre Zweitsprachkompetenzen entschieden verbessert. Das zeigt, dass die Schulen zwar gefordert sind, dass jedoch vor allem die Alltagsrelevanz der Sprache und die sprachlichen Kontakte in der Freizeit ausschlaggebend sind. In den vergangenen Jahren haben sich die Zweitsprachkenntnisse der Südtiroler Oberschüler deutlich verschlechtert. Diese Ergebnisse sind Teil einer groß angelegten Studie namens KOLIPSI, die Sprachforscherinnen von Eurac Research anhand von schriftlichen Tests und Befragungen der Schüler und ihres Umfelds durchgeführt haben.

Zweitsprachkenntnisse in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert

Sprachforscherinnen von Eurac Research haben zum ersten Mal untersucht, wie sich die Kenntnisse der Südtiroler Oberschüler in den Zweitsprachen Deutsch und Italienisch über die Jahre entwickelt haben. Im Abstand von sieben Jahren testeten sie Oberschüler der vierten Klassen aus ganz Südtirol, zuerst Jahrgang 2007/2008 und dann Jahrgang 2014/2015. Die Schüler gaben jeweils vorab an, ob sie deutschsprachig, italienischsprachig, zweisprachig seien oder sich einer anderen Sprachgruppe zugehörig fühlten. Bei den schriftlichen Tests orientierten sich die Forscherinnen am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen und ordneten die Schüler sechs verschiedenen Kompetenzebenen zu (A1 = schlechteste Kenntnisse, A2, B1, B2, C1, C2 = ausgezeichnete Sprachkenntnisse).

Der Vergleich nach sieben Jahren zeigt: In den deutschen Schulen hatten bei der Ersterhebung 41 Prozent der Schüler gute Kenntnisse in der italienischen Zweitsprache (B2); heute sind es um die Hälfte weniger. Ein Fünftel kann sich nur mit größter Mühe auf Italienisch verständigen (A2) im Gegensatz zu den knapp drei Prozent, die damals auf diesem Niveau lagen. Wenig Veränderung für die italienische Zweitsprache gibt es auf dem mittleren Niveau (B1), das damals wie heute rund die Hälfte der deutschen Oberschüler beherrscht. Es entspricht den Sprachkenntnissen von Touristen, die über vertraute Themen sprechen können.

In der Zweitsprache Deutsch haben sich die Schüler nicht so stark verschlechtert, doch entspricht das am häufigsten erreichte Niveau elementaren Grundkenntnissen (A2). Dem Großteil der Schüler in italienischen Schulen ist es also nicht möglich, aktiv am sprachlichen Alltag auf Deutsch teilzunehmen. Sieben Jahre zuvor war es noch die mittlere Stufe B1, die gut die Hälfte der Schüler und damit der größte Anteil in der Zweitsprache Deutsch beherrschte.

Ernüchternde Ergebnisse für den Fachunterricht in der Zweitsprache (CLIL)

Erstmals untersuchten die Sprachforscherinnen auch, wie sich der Fachunterricht in der Zweitsprache, kurz CLIL, auf die Sprachkenntnisse der Oberschüler auswirkt. „Wir konnten allerdings nur die italienischen Schulen berücksichtigen, da die deutschen Oberschulen erst seit wenigen Jahren CLIL eingeführt haben. Dieser Zeitraum ist zu kurz, um die Auswirkungen dieses Modells auf die Zweitsprachkenntnisse zu untersuchen“, erklärt Chiara Vettori, Linguistin von Eurac Research. Daher konzentrierten sich die Forscherinnen auf die italienischen Schulen, die CLIL seit rund zwanzig Jahren und zum Teil ab den Grundschulklassen praktizieren. Die Ergebnisse seien ernüchternd, so Vettori: „In den schriftlichen Tests zu den Zweitsprachkenntnissen haben wir keinen Unterschied feststellen können zwischen den Oberschülern mit und jenen ohne CLIL-Erfahrungen.“

Außerschulische Kontakte für gute Sprachkenntnisse entscheidend

Die Suche nach Faktoren, die die Sprachkenntnisse in der zweiten Sprache am meisten beeinflussen, bestätigte, dass vor allem das häufige Sprechen der Zweitsprache außerhalb der Schule die Sprachkenntnisse entscheidend verbessert. Die Zweitsprachkenntnisse der Oberschüler haben sich über die Jahre deutlich verschlechtert, so die Sprachforscherin Abel: „Die Schule spielt zwar eine zentrale Rolle beim Sprachenlernen, aber sie kann doch auch nicht alles lösen. Am Ausbau der Alltagsrelevanz der Zweitsprache führt, so die Ergebnisse unserer Studie, kein Weg vorbei. Es geht darum, den Kontakt zu Gleichaltrigen zu fördern, die Sprache zu verwenden und dabei auch den Mut zu finden, sich sprachlich zu exponieren und zu versuchen, mit Interesse und Freude die Sprache des Anderen zu verstehen. Verantwortung dafür tragen die Schule, aber gleichermaßen die Politik und die Familien, aber auch die Jugendlichen selbst.“

LR Achammer zu KOLIPSI 2: “Maßnahmen konsequent fortsetzen”

Die heute vorgestellte Untersuchung “KOLIPSI 2”, die Andrea Abel und Chiara Vettori vom Institut für Angewandte Sprachforschung an der EURAC durchgeführt haben, hat die Zweitsprachkompetenz der Südtiroler Schülerinnen und Schüler unter die Lupe genommen. An der linguistischen und sozialpsychologischen Studie haben im Schuljahr 2014/15 insgesamt 1.692 Schülerinnen und Schüler der vierten Klassen aller maturaführenden Oberschulen mit deutscher und italienischer Unterrichtssprache teilgenommen. Die Sprachtests bestanden aus den vier Modulen Schreiben, Hören, Wortschatz und Sprechen. Zudem beteiligten sich Eltern sowie Zweitsprachenlehrkräfte an einer Fragebogenerhebung.

Bildungslandesrat Philipp Achammer betonte, dass die Bemühungen für einen “guten” Sprachunterricht fortgesetzt werden müssen. “Die Einstellung zur Sprache, gerade zur Zweitsprache, spielt eine zentrale Rolle für den Lernerfolg”, stellte Landesrat Achammer fest. So gelte es vor allem, die sogenannte intrinsische Motivation zu steigern. “Dabei geht es auch um die Offenheit, das Bewusstsein und um die Wahrnehmung in der Gesellschaft”, meinte Achammer und forderte dazu auf, eine sachliche Diskussion zum Sprachunterricht zu führen, denn Angst sei immer ein schlechter Ratgeber. “Es gibt viele Faktoren, die das Erlernen von Sprache beeinflussen – auch negativ”, sagte Achammer, daher sei es wichtig, Sprache als Reichtum wahrzunehmen. Er wies auch darauf hin, dass natürliche Gelegenheiten der Sprachanwendung besonders wichtig sind und dazu beitragen, die Hemmungen zu senken.

“Sprachenlernen ist eine wesentliche schulische Aufgabe, aber nicht nur!”, räumte Achammer ein und wies auf das Maßnahmenpaket für Mehrsprachigkeit 2016-2020 hin, welches wichtige Ansätze enthalte. Er gab aber zu bedenken, dass derartige bildungspolitische Maßnahmen zur Förderung der Sprachkompetenz erst zeitverzögert ihre Wirksamkeit zeigten. KOLIPSI 2 habe in besonderer Weise gezeigt, wie wichtig die Anwendung der Zweitsprache außerhalb der Schule sei. “Hier gilt es noch viel mehr zu tun”, so Achammer, etwa durch die gezielte Förderung von Austauschprojekten. Auch dies sei Teil des von der Landesregierung im vergangenen Jahr beschlossenen Maßnahmenpaketes.

Der italienische Bildungslandesrat Christian Tommasini wies auf die Bedeutung der Mehrsprachigkeit für die Südtiroler Gesellschaft hin. “Besonders der italienische Kindergarten hat große Anstrengungen zur Förderung der Mehrsprachigkeit unternommen”, räumte Tommasini ein. So wurde etwa im laufenden Schuljahr erstmals flächendeckend eine Stunde didaktischer Tätigkeit in englischer Sprache an allen Kindergärten des Landes eingeführt, denn wissenschaftliche Studien belegen, dass das Erlernen einer Sprache besser gelingt, je früher damit begonnen wird. Die spielerische Annäherung an die Zweit- oder Fremdsprache hilft dabei, Hürden zu überwinden sowie Leidenschaft und Neugier für die andere Sprache zu entwickeln, stellte Tommasini fest. “Die Schule kann viel erreichen, aber ebenso wichtig ist die Begegnung im alltäglichen Leben. Man lernt eine Sprache einfacher, wenn Beziehungen aufgebaut werden, wenn man sich trifft und Zeit miteinander verbringt”, gab Tommasini zu bedenken.

STF: “CLIL-Unterricht bringt keinen Mehrwert!”

Vor Kurzem hat die EURAC ihre neue Studie KOLIPSI zur Zweitsprachenkompetenz von Oberschülern vorgestellt. Die Studie wurde erstmals 2007/2008 an Oberschülern der vierten Klasse durchgeführt und nach sieben Jahren im Schuljahr 2014/2015 wiederholt.

“Aus der nun vorgestellten Studie geht hervor, dass sich die Sprachkenntnisse der Oberschüler in den letzten Jahren verschlechtert haben. Die Studie beweist zudem, dass CLIL, der Fachunterricht in einer Fremdsprache, nicht zur Besserung der Sprachkenntnis beiträgt. Diese Studie liefert den Beweis, dass CLIL keinen Mehrwert für die Schüler bringt. Wir fordern deshalb die SVP auf, einsichtig zu werden und den CLIL-Unterricht als gescheitert zu erklären”, erklärt Peter Gruber, Landesjugendleitung der Süd-Tiroler Freiheit.

Eine der Ursachen für die schlechten Zweitsprachenkenntnisse sieht die Junge Süd-Tiroler Freiheit im Aufbau des Unterrichts. “Wenn ein deutschsprachiger Oberschüler die Divina Commedia behandelt, dann eignet er sich dabei genauso wenig Sprachkenntnisse an, wie ein italienischsprachiger Oberschüler, der sich mit Goethe beschäftigen muss. Was wir wirklich brauchen ist ein alltagsnaher Fremdsprachenunterricht”, führt Gruber fort.

Die Junge Süd-Tiroler Freiheit fordert ein Ende des CLIL-Experimentes und ein neues Konzept für den Fremdsprachenunterricht, mit mehr Alltagssprache und weniger Literatur.

Bezirk: Bozen